Deutschlands günstigste Yoga-Ausbildung zwischen Esoterik und Empowerment
Vormittags im Oktober, irgendwo im Allgäu in einem Garten bei Kempten. 30 junge und alte Männer und Frauen stehen in einem großen Kreis im Gras – was sie vereint: alle halten ein gelbes Kännchen aus Hartplastik in der Hand, viele tragen weiß-gelbe Kleidung.
Weiß und Gelb, das sind die Farben von Yoga Vidya e.V., einem Verein, der deutschlandweit die mit Abstand günstigste Yoga-Ausbildung anbietet. Nach klassischer Farbsymbolik ist dem Ausbilder zufolge weiß die Farbe der Reinheit. „Rein“ und „hell“ sollen wir zu den wöchentlichen hinduistischen Ritualen erscheinen (Homa, Puja). Die Plätze für die einmonatige Intensiv-Ausbildung sind begehrt, umso glücklicher war ich, als jemand abgesprungen ist und ich nachrücken konnte. Lange Tage liegen hinter uns, Tage, an denen wir uns morgens um 6 Uhr schlaftrunken zu Atem- und Meditationsübungen im Lakshmi-Raum sammeln, mit leerem Magen Yoga bis um 11 machen, unseren jeweiligen Karma Yoga-Aufgaben nachgehen (Küche, Haushalt, Technik, Tee etc.), nachmittags Lehrproben absolvieren und den Abend bis zur totalen Erschöpfung wieder mit Meditation, Gesang und Vorträgen verbringen.
Weiß sollen wir uns anziehen – weiß ist die „reine“ Farbe
Heute ist also der Kriya-Tag. Kriya, das sind yogische Reinigungsübungen, die wie vieles im Yoga eine lange Tradition haben. Im Zweifelsfall hat mindestens die Hatha Yoga Pradipika aus dem 14. Jahrhundert schon darüber berichtet. Wir schöpfen uns Salzwasser aus einem großen Kessel in unsere Kännchen und verschwinden jede*r in eine Ecke des Gartens für das Jala Neti, besser bekannt als „Nasenspülung“. Ich mache es heute zum ersten Mal und bin ziemlich begeistert, frage mich nur, ob dem Rasen die Übermenge an NaCl wohl guttut. Nun stecken sich die, die möchten, einen Katheter durch die Nase und ziehen ihn wieder aus dem Rachen, dann geht es weiter mit einer Mullbinde, die man fast gänzlich schluckt, bis sie den Magen erreicht, und dann wieder herauszieht. Langsam verstehe ich, warum sich der Nachbar vom Grundstück nebenan über das Ausbildungshaus beschwert.
1 Liter Salzwasser wird geschluckt und wieder erbrochen
Ich stehe inzwischen in einer kleinen Gruppe Kriya-Abgetörnter am Rand des Schauplatzes und versuche, über die Würgegeräusche zu sprechen. Wir müssen nicht mitmachen, sollen aber dabeibleiben, das ist Teil der Ausbildung. Ich fühle mich wie eine Investigativ-Journalistin in Yoga-Leggings und Siebdruck-T-Shirt, obwohl ich diese Zeilen erst drei Monate danach schreibe. Laura[1], eine dünne blonde Yogini Ende 20, wird ganz blass: Teile der Gruppe sind nun zum Kunjar Kriya übergegangen, einer Praktik, bei der man ein bis zwei Liter Salzwasser schluckt und sich anschließend den Finger in den Hals steckt. Reinigt den Magen, hilft gegen Erkältung und Depression. Klar, denke ich mir, im Mittelalter hat man in Europa ja auch gedacht, Aderlass wäre ein wirksames Mittel gegen Krankheiten. Das ursprüngliche Yoga bewahren zu wollen, scheint für mich in etwa so, als würde man versuchen, die aristotelische Denklehre eins zu eins ins Heute zu übertragen.
Am Nachmittag bringt mich die Yogastunde wieder runter – wir üben heute intensiv Rückbeugen wie die Kobra, Heuschrecke und den Bogen. Aber innerlich führe ich Streitgespräche mit Devi, einer unserer Auszubildenden. Mein Bauchweh bezüglich einiger Kundalini-Inhalte – vor allem die Rede von angeblichen Astralwesen, Dämonen (Rakshasas) und „ganz normalen akustischen Phänomenen“, die man in der Meditation höre – habe ich ihr bereits mitgeteilt; mich treffen solche esoterischen Ausschweifungen vor allem abends zwischen 8 und 10 besonders, wenn ich vom langen Tag und der täglichen Körperpraxis dem ultimativen Erschöpfungszustand nahe bin. Devis Antwort auf meinen von Tränen begleiteten Ausbruch war in der Art mitfühlend und empathisch, in der Sache meinte sie aber: „Es scheint, als müsstest du noch viele Dinge aus der Vergangenheit verarbeiten“. Eine Antwort, die mich in dem spezifischen esoterischen Kontext natürlicherweise nicht sehr beruhigen kann – vor allem da ich über 2 000 € für die Ausbildung gezahlt habe, die ich jetzt auch durchziehen möchte. Wir einigen uns darauf, dass ich bei den Kundalini-Vorträgen auf mein Zimmer gehen darf.
Feedback-Kultur bei Yoga Vidya – Fehlanzeige
Und jetzt kommen also die sonderbaren Kriya-Übungen, die vermutlich keine Ärztin empfehlen würde. Ich bin froh, mit den anderen Yoga-Schüler*innen darüber sprechen zu können, denn eine ehrliche Feedback-Kultur auf Augenhöhe ist bei Yoga Vidya leider noch keine Realität. Die Beziehung zwischen den drei Ausbilderinnen und uns ist von einem klaren Machtgefälle geprägt: Dort stehen die, die sich auskennen mit spirituell gelebtem Yoga, oben auf dem Altar unter den Bildern des Gurus Sivananda, der Götter und unter Maria und Jesus – hier unten sitzen wir in großer, wissbegieriger Gruppe, die noch in die Wahrheit des Yoga-Wegs eingeführt werden müssen. Somit können auch alle inhaltlichen Kritikpunkte an den Ausbilderinnen abperlen wie Regen an einer Softshell-Jacke – denn die Fragenden haben sich ganz einfach noch nicht lange genug mit spirituellem Yoga auseinandergesetzt, um die wahre, tiefe Weisheit zu erkennen.
Ich persönlich liebe körperliches Hatha Yoga (ausgenommen der Kriyas), ich liebe auch die anderen fünf Yogawege und das philosophische System, das dahinter steht und auf individuellen wie gesamtgesellschaftlichen Frieden abzielt. Den Ashtangas von Patanjali (quasi „8 Gebote des Yoga“) kann ich mich voll und ganz anschließen. Lebt man Yoga aber sehr spirituell aus, wie es vom BWLer Sukadev Volker Bretz, dem Gründer von Yoga Vidya, gepredigt wird, so kommt es zu antidemokratischen Strukturen, die gepaart mit einer Dosis Anti-Masken-Haltung zu Corona-Zeiten gefährliche Auswüchse annehmen können.
Antidemokratische Haltung wird in Corona-Zeiten vom Altar aus gelehrt
Abgesehen von dem kritischen Personenkult[2] fällt auf, dass die Ausbilderinnen immer wieder über Dinge außerhalb ihrer Expertise sprechen: So ruft Devi zwar ihre Herde, also uns, dazu auf, weniger Zeitung zu lesen und Nachrichten zu hören, das mache unglaublich schlechte Laune und erzeuge negative Schwingungen, aber zu politischen Themen hat sie dann doch eine persönliche Meinung. Zum Beispiel erklärt sie lapidar, dass das derzeitige Artensterben unglaublichen Ausmaßes etwas ganz Natürliches sei. Oder dass alle Menschen, die kein Yoga praktizierten oder, noch schlimmer, überzeugte Atheist*innen sind, zu zahlreichen Wiedergeburten verdammt seien, bis sie irgendwann in einem späteren Leben hoffentlich auch mit Yoga ihren Weg Richtung Erleuchtung, Samadhi, gehen.
Ich kann mich des Gefühls nicht verwehren, während der vier Wochen Intensiv-Ausbildung mit Yoga gegen Yoga anzugehen, also mit körperlicher Yoga-Praxis und den schönen, friedlichen Gefühlen, die dabei aufkommen, gegen verstörende, ideologische Aspekte des Kundalini- bzw. Jñana-Yoga anzukämpfen. Mit dem Hund gegen Dämonen und Engeln, mit dem Delfin gegen Kunjar Kriya. Da, wo mich das neue Körpergefühl und die Atem-Übungen empowern und mir ein neues Selbstvertrauen ermöglichen, fügen mir die gelehrte antidemokratische Obrigkeitshörigkeit, das Gurutum und mittelalterliche Kriya-Übungen psychische Schmerzen zu. Dass sich die günstigste deutsche Yoga-Ausbildung in Sachen Feedback und Kommunikation auf Augenhöhe noch fortentwickeln kann, steht für mich außer Frage. Auch ich habe noch viel zu lernen, viel zu lesen, viele Yogastunden zu geben – nach allem dauerte sie ja nur vier lange Wochen, meine Ausbildung zur Yogalehrerin.
Text und Bild von Charlotte Hattendorf, 04.März’21
[1] Alle Namen wurden geändert.
[2] Neben Guru Sivananda hat man bei Yoga Vidya bis vor einiger Zeit beispielsweise Swami Vishnudevananda angebetet und täglich zweimal seinen Namen im Satsang gesungen – bis sich drei Frauen unabhängig voneinander zu Wort meldeten, die Vishnudevananda sexuelle Übergriffe und ein psychologisches Abhängigkeitsverhältnis vorwarfen. Daraufhin wurden Vishnudevanandas Bilder von allen Altären entfernt.
