Diesen Monat möchten wir euch das Prosagedicht »Krakau« aus der 10. Ausgabe von Kamil Tybel vorstellen. Zwischen Liebe und Abscheu schreibt er über die “Stadt der toten Könige, entlang der Weichsel.” Kamil hat den Text auch eingesprochen. Kaptan Bayraktar hat der Aufnahme Klang verliehen. Den Link zum vollen Text findet ihr weiter unten. Viel Spaß damit!
gez. Nous-Redaktion
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I. In der Stadt der toten Könige, entlang der Weichsel, die einsam blau ihre bleichen Arme in die Ostsee streckt. Dort, wo das Wissen in alten Universitäten liegt, verschlüsselt und unverdaut und die goldene Freiheit graue Unterdrückung ist, lebt ein Drache mit Schuppen aus Silber, Gold an seinen Klauen. Er hat die Flügel eines Adlers, den Kopf und die Federn; seine Augen, topazglühend in der Nacht, wenn er fliegt zu stehlen Fleisch und Frauen. Zahnräder laufen in seinen Eingeweiden, knacken, zerren und ziehen, Sirenen schreien zum großen Appell, Kohle glüht, Atome gespannt und gespalten. Sein Feuer, das halb die Stadt erhält, halb die Stadt verbrennt, kocht das Blut der Armen in seinem Bauch und häutet die Bevölkerung auf den Straßen.
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geschrieben und gesprochen: Kamil Tybel
vertont: Kaptan Bayraktar
illustriert: Claudia Kuhn