Die Mätresse des Heroman

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Der Pausenhof war von einer Reihe alter Fichten umstellt. Manchmal schoss jemand den Ball so straff über das Tor, dass er durch die Zweige flog und auf dem Parkplatz landete. Dann kroch eines der kleineren Kinder unter den Bäumen hindurch und ging Holen. Nie holte das Kind, das geschossen hatte.
Erst als Kracke in die Stadt zog, war jemand an der Schule, der soviel Kraft hatte, den Fußball durch den Vorhang aus Ästen zu treten, dabei so klein und schmächtig und eben auch so viel Anstand hatte, um ihm selbst hinterher zugehen.
Kracke hieß damals noch Torben. Erst Seta – und nur Seta – sollte ihn Kracke nennen und eifersüchtig darauf achten, dass das ihr Ding und nicht das von irgendwem anders blieb. Den Hashtag #KrackeMeierDuHurensohn sollte es deshalb fünfzehn Jahre später so nie geben. Auch seine schlimmsten Hater, egal ob in oder außerhalb der Umkleidekabine nannten ihn Torben, Torben Meier. Torben Meier, die Verrätersau, der Grund dafür, dass eine Stadt Prestige, viel Geld und noch mehr Selbstwert verlor.
Erst seit Anfang jener Woche durfte er mitspielen, vorher wurde er einfach nicht früh genug gewählt und wer nicht unter den ersten zwölf war, die von den Kapitänen ausgesucht wurden, musste zuschauen und Balljunge sein, weil er eh nicht eingewechselt wurde. Aber als Kracke am Montag geschickt wurde, um für sie den Ball vom Hausmeister aus dem Geräteschuppen zu bekommen und ihn daraufhin beidbeinig und mit der Stirn jonglierend über die Treppen hinunter auf den Hof brachte, ohne dass der Ball ein einziges Mal aufkam, dauerte es nur zwei Runden, bis der Kapitän, der nicht nur seine Kumpels wählte, auf Kracke zeigte und sagte: „der Neue, Torsten oder so.“
Seitdem schoss er Tore am Band, legte aber auch ab, wenn wer besser stand, auch wenn der dann das Tor nicht machte.
Kracke hatte die Pille eines Mittags bei einem schwer zu nehmenden Volley über den Spann rutschen lassen beim Abschluss, also war sie holen gegangen. Gerade an diesem Tag hatte er viele Bälle abgelegt, statt es selbst zu versuchen, weswegen seine Mannschaft nur knapp in Führung lag.
Es gongte ein Mal.
„Hey, das war Absicht!“, sagte der Kapitän vom gegnerischen Team, als Kracke zurück war. „Damit wir nicht noch einen Angriff machen können!“
Mit Herbstanfang waren schlagartig die Sonnenstrahlen schwach und selten geworden und wer nicht aufpasste, hatte für den Rest des Schultags nasse, dreckige Hosen. Trotzdem hatte Kracke versucht, sich zu beeilen und war dann doch auf die Knie gegangen, als er den Ball unter einem Ethiklehrerinnenauto hervorholte und sich fast am durchgerosteten Radkasten den Arm aufschnitt.
„Nein, wer schießt denn schon mit Absicht vorbei?“, sagte Kracke, der nicht merkte, wie ernst es sein blauäugiges Gegenüber meinte, der ihn um anderthalb Köpfe überragte und links und rechts von sich Unterstützung aus der siebten und achten Klasse stehen hatte. Er hatte tagelang mit keinem von ihnen zusammen, sondern immer gegen sie gespielt und das nahmen sie ihm wohl übel.
„Red nicht! Du weißt genau, dass wir nach dem ersten Gong das Spiel abbrechen müssen. Und mitgezählt hast du ja wohl auch. Ein Tor Rückstand nur!“
„Aber hätte ich ihn reingemacht, wären’s doch zwei geworden.“
Kracke drehte die Kugel mit den Fingerkuppen so vorsichtig zwischen den Händen, wie er es mit dem alten Globus machte, der bei seiner Oma auf dem Schreibtisch stand.
Auf Krackes Logik ließen sie sich nicht ein:
„Ähm, dafür hätten wir auch noch Zeit gehabt, so wie du getrödelt hast beim Holen.“
Kracke konnte gar nicht sehen, dass es einer der Älteren war, nicht das Großmaul, der ihm den Ball aus den Händen trat und BÄÄMM!! von unten gegen die Nase, dass ihm silbersternig vor Augen wurde und es ewig brauchte, bis sich der riesige Schmerz bemerkbar machte, weil erst Mal alles taub war bis in den Hinterkopf und die Ohren hinein, ehe der Scheißschmerz alles beherrschte.
Zwei Gongs hintereinander. Obwohl sich viele auf dem Hof für die Szene interessierten, riskierten sie lieber keinen Ärger und gingen rein. Dabei schauten sie über ihre Schultern, um noch möglichst viel mitzubekommen.
Nur eine blieb stehen. Ihre Regenjacke war offen und sie schlug sie so weit auf, dass sie flatterte. Sie zückte ihre Zwille und feuerte, was sie an Steinen in der Hosentasche hatte, auf die drei Großen, die noch davon erschrocken waren, dass sie Kracke zum Bluten gebracht hatten. Die Schützin war Seta.
Der Hausmeister kam, um den teuren Ball einzusammeln, den der DFB nach der Weltmeisterschaft in Deutschland und einem Überschuss im Jugendfördertopf der Schule gespendet hatte. Neben dem Ball fand er vier blutende Schüler und eine Schülerin, die ihm unter Schluchzen und gestikulierend zu verstehen gab, dass der Täter durch die Bäume und in die Doppelhaushälftensiedlung gegenüber der Straße verschwunden sei. Der Hausmeister konnte nicht anders, als Seta zu glauben, die so schwindelte, wie sie schießen konnte.

Als Seta zehn war, musste ihr Vater mit Arbeiten aufhören, weil das Werk schloss, in dem er als Fahrer arbeitete. Diese Unfairness vertrug er nicht. Mit zwölf, da wohnte ihr Vater schon kaum mehr bei ihr und ihrer Mutter, sondern in einer 24-Stunden-Kneipe, nahm das Jugendamt Seta ihren Eltern weg. Auslöser war eine Falschaussage Setas aus einer Laune heraus, zornig auf ihre Mutter, die ihre Zeit für einen Job als Nachtwache in einem Krankenhaus brauchte und nicht für die Tochter aufbringen konnte.
Geschlagen wurde Seta aber wirklich nie daheim, dafür waren beide Eltern viel zu knülle, die eine müde, der andere voll. Auch wenn sie oft wütend wurden – dann aber ausnahmslos aufeinander. Dass sie das den Behörden verständlich machen konnte, sorgte dafür, dass Seta zu ihrem dreizehnten Geburtstag wieder zurück zu ihrer Mutter und in ihre alte Schule zurückkonnte.
Es war ihr – wie die erwachsene Seta später sagte, wenn sie danach gefragt wurde und eine abtuende, aber erwachsene Antwort liefern wollte – im Heim nicht sonderlich schlecht gegangen. Sie kam mit einer funktionsfähigen, selbst- aber nicht von ihr gebauten Zwille und ihrem ersten Knutschfleck zurück. Beides ein Abschiedsgeschenk von einem Vierzehnjährigen, der glaubte, Seta wäre die Tochter eines mächtigen Clanchefs und ansonsten bis in die tiefen Grübchen über seinem Arsch, die sie ja schon ganz schmuck fand, in Seta verknallt war.
Seta knallte mit dem Geschenk ab, was ihr vor die Linse kam. Vögel, Autoscheiben und Arschlöcher, die einen viel Kleineren fertigmachten, nur weil der im Gegensatz zu ihnen im Fußball was konnte.

Seta traf Torben nach der letzten Stunde. Seine Nase blutete wieder, weil er beim Blick in die aus den Wolken brechende Herbstsonne, die hinter Seta stand, ungewollt ausnieste, was in seiner Nase getrocknet war. Sie hatte keine Taschentücher dabei, also ging sie in einen Imbiss und holte ihm Servietten.
Ihre wenigen Schulfreundinnen hatten Seta fast vergessen. Statt ihre alte Freundin zurück, bekamen sie eine unbestimmte Angst vor Seta, als wäre nicht sie selbst, sondern ihr böser Zwilling zurückgekommen. Mit einer zu guten Lügnerin ist es schwer, befreundet zu sein. Eine auch noch obendrein bewaffnete ist kein Umgang, den man sich freiwillig antut. In den Augen ihrer alten Freundinnen, war Seta zu einer Gefahr geworden. Wer weiß, was sie noch Übles im Kinderheim gelernt hatte, unter Jugendstraftätern und den schlimmsten unter allen Kindern, die nicht Mal wer zu Hause haben wollte, wo man doch eigentlich willkommen ist, wenn man auch nirgendwo sonst willkommen ist.
Kracke klemmte sich die Papiertücher wie Servietten in den Jackenkragen. Er hatte keine einzige Träne geweint, aber auch genauso viele Worte gesprochen für den Rest des Schultags.
„Danke!“, war das Erste, das er wieder sagte. Gerichtet an Seta, die in den Dönerimbiss zurückgehen und noch mehr Servietten holen wollte. „Geht schon“, sagte Kracke.
„Geht halt nicht“, sagte Seta. „Geht nicht, genauso wie besser wie die andern und klein sein und nett obendrauf – das ist ein ganz heikler Dreiteiler, den du da mit dir rumträgst.“
Ohne es abgesprochen zu haben, gingen beide Krackes Heimweg.
„Entweder, du hörst auf, alle an die Wand zu spielen, dann musst du dir von den Verlierern nicht mehr soviel gefallen lassen. Oder du lässt dir einfach nichts mehr gefallen und rüstest auf.“
„Du redest wie meine Oma“, sagte Kracke.
„Ich mag deine Oma.“
„Du kennst sie doch gar nicht.“
„Sie nicht, aber was sie sagt. Und das gefällt mir.“
„Willst du sie kennenlernen? Und mit mittagessen? Sie kocht immer viel und da vorne wohnt sie schon.“
Das Haus, auf das Kracke zeigte, war eine Platte. Sie standen gegenüber der Balkonseite und er konnte den seiner Oma ganz einfach dadurch ausfindig machen, weil es der einzige war ohne eine der neuen Lärmschutzverkleidungen. Den hatten die Mieter selber zahlen müssen und seine Oma hatte sich geweigert und am Telefon gesagt: „Selber zahlen, damit ich mich selber einsperre? Was bieten Sie mir an, eine Kreuzfahrt? Nein, danke! Straßenlärm reinigt die Ohren.“ Dann war sie aufgestanden aus dem Sessel im Wohnzimmer, hatte sich einen Band aus ihrer Goethe-Gesamtausgabe in Sütterlin – für das Kracke nicht genug Wille aufbrachte, um zu lernen, es lesen zu können – gegriffen und war nach draußen gegangen, um nochmal die Iphigenie zu lesen und dabei dem Feierabendverkehr an ihr vorbeirauschen zu hören.
So sitzend und lesend fanden sie Kracke und Seta vor, eine Frau mit sauber gestecktem Dutt, kleiner noch als Kracke und so bewusst in ihren Bewegungen, dass Seta sofort klar wurde, woher ihr Enkel seine Eleganz auf dem Fußballplatz herhatte.
In der Küche lief leise in einem kleinen Röhrenfernseher tonlos Hallenleichtathletik, und während die Möhrensuppe auf dem Herd zog und Kracke mit einem feuchten Handtuch im Nacken zur Decke schaute, verliebten sich seine Oma und Seta ineinander, wie es nur zwei, die so viel gleich hatten, und aus weit voneinander entfernten Jahrgängen waren so fix und so unromantisch tun können.
„Ich war die Iphigenie. Ich war das Gretchen und die Helena – und der junge Faust. Ich war die Frau von Stein, Goethes Geliebte selbst, in einem langen, langen Monolog und ganz allein auf der Bühne, neben mir nur eine Strohpuppe. Mehr hätte auch gar nicht neben diese Rolle gepasst.“
Bei Krackes Oma wurde am Wohnzimmertisch gegessen und dabei nicht geredet, Seta vermutete aber richtig, dass es nicht verboten war, sondern nur nicht gemacht wurde. Auf Smalltalk wurde verzichtet, auch wenn kein Besuch da war.
Geredet wurde außerhalb der Mahlzeiten in der kleinen Wohnung weniger in Geheimnissen, als vielmehr in Privatheiten, die schon auch schrullig waren. Seta fand schnellen Zugang. Wenn etwas dreckig war, egal ob Wäsche oder Geschirr, dann ging das nicht in die Waschmaschine oder das Spülbecken, sondern „in den Müll“, wie Kracke und seine Oma es nannten. Während er aufwusch und Seta abtrocknete, sagte er ihr, dass er von seinen Eltern nichts zu erzählen hätte.
„Torben, ist deine Jacke schon im Müll?“, unterbrach sich Krackes Oma selbst beim Summen von etwas, das der Nationalhymne der DDR so nah kam, dass heraushörbar war, dass sie sich zwischen „Alle Not gilt es zu zwingen“ und „Und wir zwingen sie vereint“ unterbrach und nochmal Krackes Blick suchte.
„Und, Torben: tret beim nächsten mal wenigstens zurück, ja? Du kannst nicht damit rechnen, dass da, wo du nicht drinsteckst, genug Vernunft drinsteckt, um so einem Unsinn wie einer Schulhofklopperei zu entgehen, als wehr‘ dich das nächste Mal! In den Beinen hast du doch was stecken, Maltschik!“

Zu ihrer Urnenbeisetzung fünf Jahre später wurde Ostschlager gespielt. Kracke drückte den Playknopf des CD-Radios. Seta saß neben ihrer Mutter in der ersten Reihe, mit Wut auf ihn. Nicht nur, weil die Oma gewollt hätte, dass auch noch „Kommunismus in Bernau“ vom Oktoberklub gespielt worden wär. Sie hätte sich das nicht vom Bestatter ausreden lassen. Seta hätte an ihrer Stelle gestanden und ihren Wunsch verteidigt, so wie sie für die kranke Oma Teile vom Alltag übernommen, mit Kracke zusammen geputzt und eingekauft hatte. Auch wenn sie Krackes Person damals grad so brauchte wie ein Loch im Kopf.
Sie waren genau siebzig Tage so etwas wie ein Paar gewesen. Die Art, wie Kracke sich beim Orgasmus schüttelte und eine seltsame Schnute zog, hatte ihm bei Seta seinen Spitznamen eingebracht.
Seine Oma hatte das zwischen ihnen auch von ihrem Bett aus bemerkt, auf das nach der Diagnose das geschrumpft war,  was sie ihre Diaspora ohne Standortwechsel nannte. Seta war zwar jeden zweiten Tag zu Besuch, aber dass sie über Nacht blieb, war auch Krackes Oma nicht entgangen. Seta hatte sich nicht verkneifen können, ihre Rollen laut zu üben, während der Kaffee durchlief. Kracke wusste, wenn Seta sich nicht Mühe gab mit der Flunkerei, dann wollte sie sich auch keine Mühe geben. Dann brauchte es auch kein Verstecken mehr.
Also saß Seta neben Omas Bett und sie redeten beim Frühstück die letzten, intensivsten Male über Schauspiel, während Kracke seine Runde joggte.
„Seit 1990 zu Hause und keine Rolle mehr. Sie ist langsam durch Langeweile gestorben“, sagte Kracke am Friedhofstor. Seta hatte zur Antwort nur Zigarettenrauch ausgepfiffen. Erst nach längerem Schweigen sagte sie:
„Du willst das ja nicht? An Langeweile sterben? Mit mir? Oder warum hast du rumgefickt?“
Der gleiche Großgewachsene mit den königsblauen Augen, der damals Kracke fast das Nasenbein bis ins Hirn jagen ließ, war auch derjenige, mit dem Kracke ausprobiert hatte, wie hetero er eigentlich war. Er bekam kein einziges Mal Krackes Orgasmusshow mit, nur der regulär kommende Kracke, dem nicht das Gesicht durch einen Schwall an Ausdrücken explodierte. Seta war da gerade mit der Theater-AG und Generalproben beschäftigt. Es waren die Tage achtundfünfzig und neunundfünfzig ihrer Beziehungskiste.
Kracke hatte es ihr nicht sagen wollen, ehe die Beisetzung war, aber die Gerüchte an der Schule waren schneller. Selbst wenn sich Kracke in Lügen hätte flüchten können, es wäre für ihn keine Deckung dagewesen. Also sagte er es ihr vor einem Termin beim Bestatter.
„Langeweile geht mit dir doch gar nicht“, sagte Kracke, dem der Anzug stand, auch wenn er sich darin fühlte wie in einem etwas größeren anderen Mann. „Und Sterben nur, wenn dus befiehlst.“
Seta trug schwarz wie immer, nur statt einem Shirt eine Bluse ihrer Mutter. Jahre später wurde das ständige Tragen von Schwarzem und eine graugefärbte Strähne im Pony zu ihrem alltäglichen Look. Wir alle kennen ihn.
„Du willst mich doch nicht tot haben, oder?“, fragte Kracke. Noch ein paar Jahre später würde diese Frage Seta nochmal erreichen, dann nicht als Witz, um das Eis wieder zu brechen.

„Oma hat mir mal gesagt: ‚Ich hatte alle Möglichkeiten der Welt, ich konnte in Rollen schlüpfen. Hoppsa, hoppsa, rüber und nüber! Ich konnte sein, was der Mensch wirklich ist, in seiner maximalen Reichweite, bis in die hinterletzte Ecke’“, sagte Seta, im Bett, daneben: Kracke, verkleckerter Tetrapakrotwein, der letzte Lichtstreifen in Krackes Zimmer und ein Band Goethe, den sie aus einem der Regale im Wohnzimmer gezogen hatte. „’Dann kam der Westen und mit ihm gingen alle Möglichkeiten und jetzt ist die hinterletzte Ecke überall. Nur noch Possen, nur noch Performance statt Theater … und Moral statt Politik … wir haben so gerne Arbeitslose, wir richten sogar Ämter und eine Tafel für sie ein. Da war ich weg vom Fenster. Wen hätt ich denn performen sollen? Eine SEDlerin ohne SED? Will denn niemand heute wissen, dass es nichts bringt, sich ins Theater die Zurückgeworfenheit auf sich selbst aus der Welt reinzuholen? Performances gehören nicht auf die Bühne, sondern auf die Rennstrecke oder den Fußballplatz – wenns drum geht, gut zu können, dass man man selbst ist. Der Torben ist ein guter Performer, nicht du, Seta’“, sagte sie und Kracke war sich sicher, dass das ein Monolog seiner Großmutter sein sollte, und nichts daran gelogen war, auch wenn er von Seta wusste, dass sie nie eins zu eins rezitierte.
„Wenn du Spargel wirklich gegen Lohn Fußball spielen willst, wenn du wirklich schwul bist … puh! … dann stell dich drauf ein, dass du Schutz brauchst. Sonst machen sie dich und deine Ehrlichkeit ein, Kracke. Vernunft kannst du nur da erwarten, wo du selber drinsteckst. Und wo keine Vernunft gesät worden ist, da geh mal von aus, dass du nicht grad gastfreundlich behandelt wirst. Deine Oma wusste das: ‚Immer mit der Vernunft und immer gegen die Unvernünftigen‘, hat sie gesagt und dementsprechend alleine war sie dann zuletzt.“
„Aber was weiß ich, wahrscheinlich bin ich gar nicht schwul, sondern was anderes? Aber Fußballer bin ich absolut.“
Dann versprachen sie, füreinander da zu sein, was auch immer sich noch herausstellen würde im Leben und was noch käme und was nicht. „Wir bleiben immer vernünftig gegen die Unvernünftigen. Wir bleiben immer in einer Partei zusammen“, nannte es Seta, lang schon nicht mehr nüchtern und trotzdem hellwach.

In seiner ersten Saison als Profi riss Kracke sich das erste Mal ein Kreuzband. Zwei Saisons später hatte er sich wieder halbwegs zurückgekämpft, spielte in der dritten Liga als Leihgabe und war nicht nur bei Punktspielen unterfordert, sondern auch fremd in einer Stadt in Südhessen, die nicht einmal ein eigenes Kfz-Kennzeichen hatte.
Kracke kam frisch verheiratet zurück zu seinem Bundesligaverein zurück. Dort ließ sie sich kurz darauf scheiden und Kracke war nicht sehr traurig deswegen. Er träumte Mal vom Ausland, Mal von Ostdeutschland und fand zurück in die Spur, wovon zehn Torvorlagen in einer Hinrunde und Diskussionen um eine Berufung in die Nationalelf zeugten.
Danach riss er sich das gleiche Kreuzband nochmal und Mitte zwanzig wurde Kracke bereits klar, dass sein Körper eine komplette Profikarriere sicher nicht mitmachen würde. Einen ganzen Neujahrstag lang dachte er darüber nach, parallel zum Training eine Ausbildung zum Physiotherapeuten anzufangen.
An diesem Vormittag lief ein Fernsehfilm im Fernsehen und Kracke hatte sich ungeduscht und mit übersäuerter Brustmuskulatur nach seinem Oberkörperprogramm hingelegt und sich angesehen, wie Seta einer seichten Komödie eine Tiefe gab, indem sie sich einfach weigerte, zu spielen. Der Film mag dafür Anlagen gehabt haben, aber Seta machte aus einem frühverwitweten, gewitzten Adelsspross eine zynische Fläche, an der jede externe Reaktion auf ihren eigenen Witz abprallte. Das sah man, wenn man sie bis nach dem breiten Lächeln ansah, das Seta da auflegte. Wie nach jedem verliebten Blick in Richtung des lispelnden, aber süßen, Hippotherapeuten ihrer Tochter, kittete Seta in ihrer Rolle die Lachfalten um ihren Mund blitzartig wie mit flüssigem Metall. Sie unterband damit alles, was danach kam. Sie bestimmte damit jede Szene und unterbrach die dünne Handlung, wann immer sie es wollte – und sie wollte es immer. An einem zentralen Moment, nach zwei Dritteln des Films, schaute sie sich im Umdrehen kurz im Spiegel selber an. Damit hatte sie das Film ende vorweggenommen. Ab dieser Szene stellte Kracke fest, dass sie ihr Poker Face nach jedem Lächeln, jedem noch so intensiven Kuss und gesäuselter Schmeichelei des Lovers, mit Langeweile legierte, weil für sie schon alles abgeschlossen war.
Kracke schrieb ihr noch von der Couch aus eine WhatsApp, wie begeistert er davon war, dass sie das Nichtsfühlen hinter dem Feel Good-Schema aufgedeckt hat –  und bekam lang nichts zurück. Erst Woche später traf eine Postkarte von ihr ein:

Kracke, 

deine Oma hatte die gleiche Leninbüste wie auf der Vorderseite hier, oder? An einem freien Tag hab ich das Hotel gesucht, in dem sie damals in Moskau mit dem BE gewohnt hat. Ich hab es nicht gefunden. Bestimmt weggerissen worden. Der Dreh hier ist dösig. Ich bin eine orthodoxe Äbtissin, die einen Mord der Polizei meldet und ansonsten gegen ihre Ängste anbetet. Glaub mir, ich werd mein bestes beten! Das ZDF wirds wohl Anfang nächsten Jahres ausstrahlen. Da werd ich wieder im imp. Deutschland der Merkels und Ferkels sein und spiele im ersten deutschen Superheldenfilm die Mätresse des Heroman oder so. Ich bereite mich schon drauf vor, übe Schwert und schlafe danach absichtlich schlecht. Jetzt ist nur noch Platz, um zu fragen, wie es deinem Knie geht: Wie gehts ihm?xoxo,

50% deiner Partei / S

Kracke stellte die Postkarte zur Leninbüste seiner Oma. Dann humpelte er auf die Terrasse, wo sein Smartphone auf dem neuen Gartentisch lag, um seiner Agentin mitzuteilen, dass er wechseln will, zurück in den Osten. Er schrieb nicht, „irgendwo, wo zweite Liga gespielt wird“, sondern, „wo zweite Liga ist“, als wäre es eine Ortsangabe.
Sie rief keine Minute später an. Ihrem überraschend zornigen Anfall wegen seiner Entscheidung hörte er zu, während er den Wolken zuschaute, wie sie sich bewegten, immer noch hinter einem leichten Nebelfilter des Feuerwerks der Silvesternacht.

Eine klassisch-schwammig gestellte Reporterinnenfrage neun Monate später, direkt im Anschluss an ein Erstrundenaus im Pokal, und eine vorschnelle Antwort von Kracke, rückten seine Mannschaft ins Zentrum eines Wettskandals und machten ihn zum ersten medial-gepushten Whistleblower im deutschen Profisport. Mit dem getauschten Trikot des Champions League-Teilnehmers an, sagte Kracke ins Mikro der Interviewerin:
„Wenn vor Spielbeginn jemand mit Geldkoffer in die Kabine kommt und jedem eine hübsche Summe bietet, der hilft, dass wir das heute verlieren … naja, dann denkt man zuerst an Hollywood und dann, wie unsinnig das ist bei den Wettquoten, wenn wir gegen die Dortmunder – die DORTMUNDER! – spielen. Ja und ähm, dann überlegt sich schon der eine oder andere, ob man nicht die Handbremse anzieht und es gar nicht erst versucht, sondern zum Verlieren auf den Platz geht. Unsere Fans tun mir leid.“
Was folgte, waren Ermittlungsverfahren, Expertengespräche über Fehlpassquoten und durchwachsene Laufpensen. Fanproteste und Spieler aus anderen Vereinen, die mit ähnlichen Aussagen nachzogen. Krackes Trainer trat zurück, der Manager weigerte sich und wurde stattdessen auf der Vereinssonderversammlung gegangen. Es gab einen wochenlangen Stimmungsboykott der Ultras.
Aus dem Whistleblower Kracke wurde spätestens dann das Hassobjekt der Stadt, als der Verein nicht nur aus dem Pokal für die kommenden beiden Spielzeiten ausgeschlossen wurde, sondern drakonisch zehn Punkte im laufenden Spielbetrieb abgezogen wurden. Der Klassenerhalt war nicht nur in Gefahr, er wurde unstemmbar.
Unter #TorbenMeierDuHurensohn sammelten sich im Internet unzählige Memes mit ihm im zu großen, verkehrtherumen BVB-Dress, dass er nach Spielende getauscht hatte, Laienanalysen über seinen mittelmäßigen Spielauftritt gegen Dortmund und ausgegrabene Storys und Gerüchte über sein Sexleben aus der Schulzeit. Was nachts an die Wände auf dem Trainingsgelände gesprayt wurde, war an Krackes Person adressiert. Ganz zu schweigen von seinem Stand in der Mannschaft.
Mit von seinem Ausrüster durch ein Schlupfloch vorzeitig gekündigten Werbevertrag in den Händen, fühlte er eines Morgens, auf dem Weg zum Training, das zu einem Spießrutenlaufe geworden war, die eine der zwei Seiten der Grenze zwischen sich und dem All – und wie das All die Grenze verschob, um ihn zu erdrücken.

Der Raum vor der Bühne war gut genug gefüllt, um darin zu verschwinden. Kurz vor der Show, bis die Headlinerband anfing, gab es fast nur indirektes Licht von der Bar und den Verstärkern auf der Bühne. Kracke huschte im richtigen Moment hinein. Die Fahrt mit dem Taxi hatte er so abgepasst, dass er gerade noch pünktlich kam, auch wenn es ihn Überwindung kostete, einzusteigen. Dass der Fahrer ihn nicht erkannte, nahm von Kracke mehr Ballast als jeder Shot, zu dem er sich am frühen Abend allein in seiner Küche stehend genötigt hatte.
Im Bühnenraum roch es nach dem Schweiß der ersten Band, die sicher die meisten verpasst und lieber vorm Eingang geraucht und getrunken hatten. Kracke hätte die Vorband gern gehört. Er trug ihr Logo mit einem Bauzaun in Herzform auf der Kappe.
Mit der Basecap, die er hinten im Schrank fand, kam die Erinnerung zurück, dass sie einmal Seta gehörte, im letzten Sommer, den die beiden miteinander hatten. Nach dem Abi hatten sie zusammen alles Ersparte in einen silbergrauen Honda Civic der fünften Generation gesteckt. In Südfrankreich mussten sie mit Motorschaden abgeschleppt werden und trampen. Die einzige Musikquelle beim Warten war Setas MP3-Player voll mit blink-182-Songs, +44 und weiter auch nichts außer Poppunk. „Alles“, war Setas Kommentar dazu, „was sich dann gut anhört, wenn es genau im Terz ein mittelschweres Problem gibt und man es grazil löst, indem man es umgeht. Poppunk ist das genauso wacklige Äquivalent zu einem Gibsbeinigen auf einem Skateboard.“
Zurück vom Roadtrip, hatte er ihre Cap unbedingt haben wollen, weil in der alles drin war, die Musik, der Sommer und die letzten Wochen mit Seta.
Kracke mochte die Band, die gerade ihre Gitarren einstöpselte, nicht einmal besonders gerne. Er hatte Livemitschnitte auf Youtube gesehen und denen nach, mussten sich die fünf Musiker sichtlich anstrengen, nicht an ihren eigenen Songs zu scheitern.
Kracke fühlte sich genötigt, der Steifheit auf der Bühne zuzuschauen, statt die Musik zu genießen. Aber er musste rauskommen. Seit er sich eingeigelt hatte, war die Stimmung gegen ihn in der Stadt auch nicht besser geworden. Warum dann noch einen Abend zu Hause sitzen?
Also gab er sich einen Ruck. Schon beim Refrain des zweiten Songs drängelte er sich in den tanzenden Pulk zentral vor der Bühne. Seine Vorsicht, sich nicht unnötig zu verletzen, brauchte er seiner Meinung nach nicht mehr. Die Musik, so holprig sie auch war, nahm ihm jede Entscheidung ab. Er war wie in einem Tunnel. Er schaute kaum woanders hin, nur vor sich auf den Boden. Eine Kopfhaltung, die er sich schon mit zehn abgewöhnt hatte, weil er das, was direkt vor ihm war, dem Gefühl in seinen Füßen überließ und seine Augen nutze, um Mit- und Gegenspieler zu beobachten, Laufwege zu antizipieren, sich auf kommende Tacklings einzustellen.
Wo er auch hinschaute, war kein Mitspieler mehr, also ließ er das Ausschauhalten sein.
Glücklich damit, nichts zu merken, merkte er lange nicht, dass sich um ihn her die Stimmung verschob. Irgendwer musste ihn erkannt haben. Kracke wurde beim Pogen rüde von hinten gerempelt. Er verlor die Cap. Plötzlich waren die Ellbogen der anderen auf seiner Kopfhöhe. Er sah hassverzerrte Augenpaare, die so gar nicht mit der Skatermusik von der US-Westküste übereinstimmten, die da spielte. Man schubste ihn immer weiter nach hinten durch, bis er bei der Bar ankam, abgekämpft und sich unklar, ob er sich nur einbildete, dass man ihn erkannt hatte. Das Bier, das er aus Frust trinken wollte, traute er sich nicht zu bestellen. Er nahm sich stattdessen ein halbvolles, schales, das auf einem der vielen leeren Barhocker rumstand und ging nach draußen in die laue Herbstnacht.
Für eine extragroße Runde Laufen, wäre es eine Topluft.   Kracke floh fast spazierend langsam und am Bier nippend, als würde ihn das unsichtbar machen.
An einer verwaisten Straßenbahnhaltestelle blieb er stehen. Er überlegte, egal wie lang zu warten, möglichst weit hinten einzusteigen und die Strecke bis ans Ende zu fahren, wo er ein Waldstück vom Joggen hier kannte, in dem er absolut für sich sein konnte, wo die Welt am wenigsten drückte. Dorrt könnte er so langsam laufen, so unsichtbar sein, wie er nur wollte.
Stellte er sich die Welt bildlich vor, dann war da der Globus seiner Oma, den sich Seta gekrallt hatte, in einem leichtherzigen Tausch gegen die Cap, die er jetzt auch noch eingebüßt ist. Dass unter dem Sockel des Globus ein Autogramm von Bertolt Brecht war, hatte ihm seine Oma nie gesteckt. Nur Seta wusste davon, deren schlechtes Gewissen sich in Grenzen hielt und sie nicht verstand, warum diese Prellung die zweite, längere Eiszeit zwischen ihr und Kracke andeutete, die anbrach, als sie den Globus wenig später auf Ebay gegen Geld tauschte, um zu studieren und zu rauchen.

Hätten sie gewollt, sie hätten Kracke niederstrecken können, ehe er das Trüppchen überhaupt bemerkt hätte. Aber die fünf Männern mit Sturmhauben, Lederjacken und dazwischen Stiernacken wollten ihm Angst einjagen, nicht nur wehtun. Er sollte einen fetten Denkzettel bekommen, und einen Denkzettel muss man mit einem Szenario verknüpfen.
Kracke zu umzingeln war nicht schwer. Er bewegte sich einfach nicht, außer dass er die Flasche in seiner Hand abstellte, um zu zeigen, wie sehr er bereit war, aufzugeben, ehe es überhaupt losging – als hätte man ihn bezahlt dafür, abzubekommen. Während die fünf den Kreis um ihn enger zogen, sich Schlagringe aufsteckten und Kracke durchbeleidigten, schienen die Angreifer jeder noch einen Kopf höher zu wachsen. Der ihm gegenüber blieb stumm, war breit wie ein Tier, schnaubte wie eins durch die Mundöffnung und schaute auf Kracke herab. Kracke fühlte sich wie dessen Schuhe, er ging in die Knie. Ihm war der Glaube abhanden geraten, noch als Mensch durchzugehen, während er, in Bethaltung, die Hände in den Schoß legte.
Gerade als er mit dem ersten Schlag rechnete und ihn ein Reflex zwang, die Augen zu schließen, fühlte er einen warmen Sprühregen im Gesicht und ihm fiel die Sturmhaube – schwer und feucht vom abgetrennten Kopf darin – in die Hände. Kracke öffnete die Augen, die lange brauchten, um in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Er hörte ein leises Geräusch vier Mal und später wusste er, dass es das Sirren eines Katana-Messers war, das zuerst durch Lederjacken und dann durch Menschenfleisch geschwungen wurde. Mit dem Sirren hatte das Anbrüllen aufgehört und war von Angstschreien ersetzt worden, die immer mit einem ganz individuellen Schmerzenslaut abbrachen. Kracke hatte sich jeden einzelnen gemerkt.
Starr, den Kopf aus seinem Schoß mit beiden Händen vor sich hertragend, stand Kracke auf, blinzelte einen fremden Blutstropfen aus den Wimpern, drehte sich um die eigenen Achse, stieg traumwandlerisch über eine enthauptete Leiche, dann über noch eine, die bis zum Bauchnabel aufgeschnitten war und ging auf eine Szene zu, in der eine Frau mit Cape und hautengem, schwarzen Onesie über einem der Angreifer stand und ihr Schwert schwang. Kracke fürchtete sich vor ihr, auch dann noch, als er schon die graue Strähne in ihren Haaren hatte aufblitzen sehen.
„Du willst mich doch nicht tö-kroaccch?“, fragte der im Dreck hinter dem Wartehäuschen liegende angegriffene Angreifer – da hatte er schon die Klinge im Hals.
„Doch, schon“, sagte Seta. „Du bist im Weg.“

K: Hmnja, hallo?
S: Ja, Schild und Schwert und Schleuder der Partei hier.
Jetzt stellen Sie sofort das Frühstück ein
und reden Sie mit mir, na los!
K: Hä? Was? Wo haben Sie die Nummer her?
S: Na, hör mal!
K
(wenig überrascht): Du, Seta? Du?
S: Von aus der Welt aus Spiegeln. Live geschaltet.
K: Was ist passiert?
S: Na, ich war da, hab deinen Arsch gerettet,
und jetzt bin ich halt weg, um meinen Arsch
zu retten.
K: Es gibt null Grund, davonzurennen, null!
Mein Statement bei der Polizei … und dann
gibt es ja noch das Band der Kamera,
die zeigt ganz klar, was Notwehr war. Naja,
mit Abstrich. Doch der letzte Stich der zwischen
die Augen ging, ist da nur halb zu sehn …
S (eindringlich, aber ohne Angst): Mit deiner Sucht auf Wahrheitsprechen, ssscht!
Ich sag dir doch, dass das nicht passt dazu,
dass du so nett und weichlich bist.
K: Dann lieber Softie sein als sich in Luft
verdünnisieren –
S (unterbricht K): Na, was denn? Ich verschwinde, um vertraglich festgelegter Strafe zu
entfliehn. Aktionen mit viel Echtblut, sind
anscheinend Grund genug, um Filmprojekte
vom ZDF zu Übersteuern bis
sie platzen wegen der Publicity.
Weil beides viel mit Dreck herumspielt jetzt,
kann Kunst und Welt hier keiner separiern,
zu schweigen, davon eins zu repariern.
Ganz abgesehn vom Staat, der strafen will
für meinen Übereifer selber Staat
zu mimen. Schlimmstens ist, dass man mich nicht
nur justizial, auch künstlerisch versteht
als deutet man so wie man bouldert: steil.
Dem beiden wegen bin ich weg: Berlins
Theater, zweitens Staat. Von hoff ich nichts,
mit beidem will ich nichts, nur schön viel Ferne.
K: Ach, Seta! So als ob bei allem, was
du tust, sich nicht um dich ganz Vieles dreht.
Und überhaupt: Du kannst nicht Seta rennt!
für immer spielen.
S: Und deshalb mach ich mich doch dünn. Ich bin
ja keine Rächerin, ich geb sie nur.
Ich will auch nicht für immer die Mätresse
des Heroman verkörpern, Schlächterin
der Schlechten. Das Kostüm gefällt mir nicht
mehr. Hat mir nie gefallen. In den Müll
damit, den Müll, den richtig richtigen Müll!
Ich will noch alles sein, was geht und nicht
nur dieses Eine bloß!
K: Was willst du machen? Klandestin und ab-
getaucht hat man nun Mal kein Publikum.
Was bringt dann alles, was du machst? Komm her,
zurück! Zu deinem Besten, deinem Wohl!
S: Mein Publikum ist was mich längst schon stört.
Du kennst das, K. Und dafür alle Chancen
verlegen, die ein Neustart offeriert?
Wem nützt denn das? Da hat doch niemand was,
nur du, damit du dich vorm Kampfsport drückst,
mein kleiner K., du kleine K.-Partei –
K (unterbricht S): Und wieso nennst du mich nicht Kr-
S (unterbricht K): Ich bin nicht blöd, dein Telefon wird ab-
gehört und dieser Name, Kr…, gehört
halt mir und niemand sonst, dem Rest gehört
halt Hashtag Torben Meier Hurensohn.
Und deshalb leg ich auf in zehn Sekunden,
dann ist die Ortung nicht präzis genug,
um rauszufinden, wo genau ich bin.
K: Das klingt nach Wissen aus nem Film. Verdammt!
Sei nicht so selbstgenügsam. Du hast mich
gerettet, und? Vor was? Wenns nach dir geht,
gibts eh nur noch die eine einzige
Vernünftige. Jetzt gib doch ab von der
Vernunft! Und hör doch auf, die ganze Welt
als deine Feindin zu betrachten.
S: Hab letztens was im Radio gehört,
(zitiert) Zitat: Nicht jeder, gegen den du kämpfst,
ist dein Feind.
K: Das könnte auch von Oma sein.
S: Ja, könnte, K. Machs gut, mein Vielzunetter!
K (aktivierter, weil mit dem Ende des Telefonats konfrontiert): Ey, Seta –
S: Tuut-tuut-tuut.
K (im Unterton amüsiert): Ey, Seta, das bist du, die tutet! Du
bist dran, ich hör das doch und bin nicht blöd
und lass mich –
S: Tuut-tuut-tuut, Motherfucker! Lass dir noch dein Früh-stück schmecken!
(Legt auf.)


Von Ken Merten, 04.Feb`21
Illustration von Marie-Kristin Boden

Copyright by Marie-Kristin Boden

 

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