Kurz nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs. April 1939. Die Faschisten unter General Franco hatten mit Hilfe von Hitlers und Mussolinis Truppen die linken Kräfte im Land besiegt. Da begann Ernest Hemingway seine Erinnerungen an Spanien zu verschriftlichen. Zwei Jahre hatte er in dem Land verbracht und als Auslandskorrespondent für die North American Newspaper Alliance berichtet. Mittlerweile in Kuba angekommen, wo später noch sein bekanntestes Werk, Der alte Mann und das Meer entstehen sollte, schrieb Hemingway den Roman Wem die Stunde schlägt, das, 1941 erschienen, bis heute das vielleicht wichtigste literarische Werk über den Spanischen Bürgerkrieg darstellt.
Der junge Robert Jordan, „Ingles“, wie er dort genannt wird weil er englisch spricht, ist ein amerikanischer Revolutionär, ein Freiwilliger, der auf Seiten der Republikaner gegen Francos Truppen kämpft. Mit dem Auftrag eine Brücke zu sprengen, die sich in feindlichem Territorium befindet, schließt sich Jordan einer Gruppe Oppositioneller an, die zwar loyal aber kaum gebildet sind, und verliebt sich in Maria.
Wem die Stunde schlägt – das ist gewiss einer dieser Romane, auf den die Gefühle und Empfindungen zurückgehen, die man gemeinhin mit Ernest Hemingway verbindet; authentische, vollkommen schnörkellose Formulierungen. „Schreib nur über das, was du kennst“, soll Hemingway gesagt haben, „und schreib ehrlich. Bücher sollten von den Leuten handeln, die du kennst, die du liebst oder hasst, nicht von Leuten, die du erst studierst.“
Und man könnte so viel studieren wie man will, aber ein Buch, bei dem Erzählzeit und erzählte Zeit so nah beieinanderliegen – ein Roman, der auf 500 Seiten eine Geschichte von drei Tagen erzählt, von der sich auch noch ein großer Teil in einer Höhle abspielt – genug Papier also, um auf jede Einzelheit, jedes Gefühl des Protagonisten einzugehen, dazu muss man wissen, wovon man spricht. Man muss da gewesen sein und am Krieg teilgenommen haben.
Hierin liegen Fluch und Segen dieses Romans: Wie verbindet man das selbstgesetzte Ideal möglichst realistisch zu schreiben, mit einer Handlung, die romantischer nicht sein könnte? Wenn wir die Geschichte eines amerikanischen Abenteurers lesen, tun wir das dann nicht gerade deshalb, weil wir ein Verlangen nach Fiktion haben und nach nostalgischem Heroismus? Und warum sollte dieser Roman dann ausgerechnet von einem größtmöglichen Realisten wie Hemingway geschrieben sein?
Aus einem einfachen Grund: Weil Hemingway der Spagat gelingt zwischen Sehnsucht und Wirklichkeit. Weil das, was viele Menschen nur als Fiktion kennen, für diesen Schriftsteller Realität war. Weil er gelebt hat wie eine Filmfigur, kann er über filmreife Themen schreiben und dabei noch völlig nüchtern wirken. Und so muss auch der Leser dieses Romans für sich selbst entscheiden, ob er es abenteuerlich oder doch verstörend findet, dass Robert Jordan in einem Land fern seiner Heimat, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, unter schwierigsten Bedingungen für seine politischen Ideale kämpft.
Man kann ins Schwärmen geraten, wenn man „von dem Titanen der amerikanischen Literatur“ spricht, wie es die französische Tageszeitung Le Monde formuliert, die Hemingways Wem die Stunde schlägt auf Platz 8 der „100 wichtigsten Bücher der Weltliteratur“ auflistet.
Aber was sagt dieser Roman aus? Worin liegt seine Botschaft? Darin, dass Hemingway mit den Republikanern sympathisierte, und das Franco-Regime verabscheute? Dass er Kommunist war und gegen den Faschismus? Vermutlich nicht. Das ließe sich einfacher erklären, und besser von Anderen, als mit Hemingways gnadenlos nüchternem und ernüchternden Blick. Außerdem hielt dieser ein Leben lang seine politische Haltung bedeckt, wenngleich man davon ausgehen kann, dass er mit Linken sympathisierte, und nicht mit Rechten.
Aufschluss über den tieferen menschlichen Sinn dieses Buches gibt vielleicht der Hinweis, dass es fast zeitgleich mit Albert Camus‘ existenzialistischem Roman Der Fremde erschien, einer Geschichte, in der es dem Protagonisten nicht gelingt, selbst kurz vor seinem Tod nicht, sich wirklich lebendig zu fühlen und emotional an der Gesellschaft teilzunehmen. Dagegen steht die Geschichte um Robert Jordan – wenngleich Hemingways Roman schon ein Jahr vorher erschienen ist – wie eine Antithese, wie ein Aufruf teilzunehmen am Leben, über private Bedürfnisse und die eigene Umgebung hinaus, und sich einzusetzen für die Menschheit und ein universelles politisches Ideal.
Während die Existenzialisten jener Zeit bekannt dafür waren mit einem Haufen Büchern in Cafés zu sitzen, und – etwas zugespitzt ausgedrückt – melancholisch in die Luft zu starren, schläft Hemingways Protagonist in der freien Natur, versteckt Waffen in einer Höhle, und kämpft für ein Land fernab der Heimat, für das er eine große emotionale Verantwortung und endlosen Tatendrang empfindet. „No man is an Island, Entire of itself, Every man is a piece of the continent, A part of the main.” – mit diesen Anfangszeilen eines Gedichts von John Donne beginnt auch Hemingways Roman.
Bleibt noch die Frage zu klären, wie man umgeht mit der Literatur eines Schriftstellers, der sich selbst das Leben nahm. Ist der Selbstmord Hemingways ein Hinweis darauf, dass das Lebensgefühl aus seinen Bücher in eine Sackgasse führt? Man könnte das so sehen. Nikolaus Von Festenberg schrieb 1989, damals Kulturredakteur beim Spiegel: „Hemingway – das war auch der, […] in dessen Erzählungen ein unausgesprochener Schmerz zu spüren ist, nach der Melodie, das Leben sei auf immer ein verlorenes Spiel.“
Oder macht Hemingways Selbstmord sein Werk erst besonders authentisch? „Man liest ihn heute anders als zu seinen Lebzeiten“, schreibt Rolf Hochhuth, „weil sein imponierender Entschluss, selbst mit einer Doppelschrotflinte in die ‚ewigen Jagdgründe’ hinüberzuwechseln, alles was er je schrieb, legitimer macht. Ein Jäger, der zum Schluss sich selber erschießt, ist sozusagen der einzige überzeugende Jäger: Er hat keinem Tier angetan, was er nicht sich selber zuzufügen bereit war.“
Und so schließt sich der Kreis. Hemingway hat seinen Lesern und seinen Protagonisten nichts angetan, wofür er sich selbst zu schade wäre. Der Titan der amerikanischen Literatur, der lebte und starb wie seine Helden.
Gastbeitrag von Taylan Engin, 8.Feb’18 / Illustration von Lukas Schepers