Täglich drehen sie die Wirklichkeit ins Ungreifbare herum.
Ich suche nach handfesten Wahrheiten und frage warum,
doch die Herren sagen mir, sei weise, schweig du,
stell ein die vielen Fragen, willst du deine Ruh’.
Sauf gelassen, aber großzügig, und nimm stumm dein Sold,
das Leben ist fein, aber vergänglich, und Schweigen ist Gold.
Das ist eine geschichtliche Glücks- und Kulturweisheit,
die sich bewährt hat an jedem Ort und zu jeder Zeit.
Wenn heute der Hungrige den Preis
nicht zahlen kann für den Kilo Reis,
dann soll er halt schweigen und nichts sagen,
belehren sie mich,
dann gibt’s nichts zu beklagen.
Denn Schweigen ist Gold.
Wenn die erschöpfte Dirne vom Freier
ihrn Lohn verlangt fürs Lecken seiner Eier,
dann soll die Hure gefälligst schweigen und weiter lecken,
belehren sie mich,
dann braucht sie die Ehefrauen nicht zu wecken.
Denn Schweigen ist Gold.
Wenn der Gewalttäter den billigen Schnaps
säuft und zuhaus‘ die Frau verprügelt bis zum Kollaps,
dann soll die Geschlagene auch schweigen und kassieren,
belehren sie mich,
wieso unnötig sich ächten und deklamieren.
Denn Schweigen ist Gold.
Wenn der Vater schichtweis‘ schuftend arbeitet
nicht mehr aufrecht gehen kann und mit der Mutter streitet,
dann soll der Gebrochene schweigen und sich halt nicht mehr aufrichten,
belehren sie mich,
den Rücken wird die Fabrik schon richten.
Denn Schweigen ist Gold.
Wenn ein Kind zerfetzt wird durch Panzergeschoss,
das wir tüchtig gebaut und liefern den Weltherren en gros,
ja dann sollen die Kinder auch schweigen, wie das tote Kind,
belehren sie mich,
unsere Kinder zählen und der heimische Wind.
Denn Schweigen ist Gold.
Wenn die Vielen täglich rackern um ihr Dasein
und fragen, warum das Erarbeitete ihrm Lohnherrn gehört allein,
dann solln sie tunlichst schweigen, wenn der Lohnherr sagt: schweigt!,
belehren sie mich,
Unordnung und Staatsgewalt folgt auf einen Streik.
Denn Schweigen ist Gold.
Sie spülen dann den edlen Whiskey in ihrn dicken Bauch
und inhalieren mit barbarischem Gleichmut den Tabakrauch.
Und ich, ich rauche mit, saufe wie ein Barbar den giftigen Alkohol,
verziehe mich sodann schweigend, aber doch immerhin belehrt.
Ich sehe: sie schweigen nie und doch bleibt ihnen das Gold unverwehrt,
das Schweigen der Vielen garantiert den Befehlsherren ihr Goldmonopol.
Von Mesut Bayraktar, 8.April’17 / Illustriert von Lukas Schepers
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