Wien, eine Frage

Täglich weilst du in deiner Toilette,
Werkelst adrett an deiner fürstlichen Fassette.
Der erste Anblick, ein blendend-herrliches Gefühl;
“Grüß Gott” heißts unverbindlich im Wiener Menschengewühl.

Welch buntscheckiger Pomp! Welch klassischer Baugeschmack!
Unumstößlich kolossale Baulichkeit; so vertrackt,
Dass man meint: ein meisterhaft-geheimer Stadtplan
Wurde hier umgesetzt, akkurat mit ein wenig ästhetischem Wahn.

Du vornehme Dame zierst dich reich mit edler Kunst;
Überall, wohin mein Aug’ schaut, Kultur en masse mit Inbrunst.
Da ein Museum, dort eine Oper, hier ein Theater – Oho!
Flanierparks, säuberliche Ordnung, Fleischesschönheit – ein Maskenrokoko!

Apropos Mensch: deine Bürger sind neckisch schön, und schleichen
Bequem durch Gassen und Alleen; doch diskret weichen
Sie hierbei wienerisch von Wienern; freundlich, nicht bös’,
Augenkontakt vermeidend, so stolz vereinbart seriös.

Ja Seriös! Seriös-Sein gilt als Wiener Volkstugend
bei Damen, Herren, Kindern und leider auch Jugend.
Man schlürft unverdächtig Kaffee und fragt nicht nach dem Preis,
Liest unbeschwert Zeitung, frivol zehrend an des Stummen Fleiß.

Erhabene Dame, dein blasses Gesicht  ist makellos,
Dein Körper fett, gleichwie Maria-Th.’s köngliches Leibeslos…
O – habe ich Elender es mit dir, Müßige, verscherzt?
Verzeih! Diese Brust schlägt halt für das Recht des Hungernden beherzt.

Wie du bist, so bist du zu sittenrein,
Du bist so kontrastlos aristokratisch fein;
Vornehm schickst du dich, Dame Wien,
Sprichst erst (so verlangts dein Anstand),
wenn man den Hut vor dir zieht.

Du bist Pracht, Prunk, Gloria und üppiger Glanz!
Die Stätte für Champagner und Herrn mit Wanst!
Ich bin dir unliebsam,
denn deine schweigsamen
Bögen und Säulen
Wecken mein Misstrauen,
Verdunkeln flatterndes Wunschträumen.

Eh bien – du fragst mich jetzt verachtungsvoll “Warum”
Ich steh betrachtungsvoll
rauchend an den Tresen
und frage mich betreten:
Wer zahlt für deine Opulenz die Spesen?

 

Von Mesut Bayraktar, 3.März 2016

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