Krieg im Frieden: Europas Amtssprache ist deutsch

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114208Der Coup, von dem ich in meiner letzten Randglosse „Wider dem ökonomischen Staatsstreich – Oxi zur Angst!“ sprach, ist gelungen. Europa spricht nicht mehr multilingual, Europa spricht deutsch; wie Kauder (CDU) bereits 2011 mit seinem hässlichen Gebaren äußerte.

Das Kreditprogramm im Gesamtvolumen von ca. 80 Milliarden Euro, einschließlich ca. 50 Milliarden Euro aus einem Treuhandfonds und einem geplanten(!) Investitionsprogramm in Höhe von ca. 25 Milliarden Euro, ist ein Programm der systematischen Unterwerfung und Okkupation der griechischen Bevölkerung und ein Warnsignal an alle Widerwilligen und Opponenten. Zwar wird der Kreditbedarf der griechischen Banken für die kommenden 3 Jahre vorerst gedeckt, wobei sie das Geld umkehren und an ausländische Banken weiterleiten werden, darunter die größten privaten Gläubiger deutsche Banken, doch ist dies mit ebenso harten Auflagen verbunden. U.a. wird das Rentenbeitrittsalter erhöht, die Rentenbezüge gekürzt, die Mehrwertsteuer in weiten Teilen alltagsbedürftiger Produkte substanziell erhöht usw., also diejenigen ausgepresst, die keinerlei Verantwortung an der Krise des Kapitalismus tragen. Zu täuschen braucht man sich nicht: nach und nach werden auch sogenannte arbeitsmarktpolitische Flexibilisierungs-Reformen kommen, die noch auf einem anderen Blatt stehen. Nicht nur dies, auch wird, wie Schäuble (CDU) bereits in der Bundestagsdebatte vom 1.07.2015 mit Verweis auf die DDR geäußert hatte, ein Treuhandfonds installiert, der in Höhe von ca. 50 Milliarden Euro griechisches Volkseigentum verscherbeln soll. Man beachte: Die griechische Regierung verhinderte den deutschen Vorschlag, den Privatisierungsfond in Luxemburg bei einer Institution zu installieren, die der deutschen, staatlichen KfW-Bank gehört. Der Chef des Fonds wäre Schäuble (CDU) selbst, sein Stellvertreter Gabriel (SPD) gewesen. Nun wird der Fond in Griechenland eingerichtet und von der griechischen Regierung und der EU-Kommission gemeinsam verwaltet. Zudem besteht mit dem Treuhandfonds die Gefahr, dass das Volkseigentum, welches mit erschwinglichen Preisen verscherbelt wird, nur von solchen Investoren und Holdings ergattert werden kann, die das nötige Kleingeld haben werden. Das sind in der Regel ost- wie südeuropäische und asiatische Oligarchen oder, richtet man seinen Blick gen Westen, die uns bekannten Akteure der Kapitalklassen aus u.a. Deutschland, Frankreich, England und der USA.

Die Zerstörung der Austerität der letzten 7 Jahre in Griechenland haben wir verfolgt. Die Folgen und Zahlen sind bekannt. Die Auswirkungen eines Treuhandfonds sehen wir seit 25 Jahren noch heute in Ostdeutschland: Auswanderung, verglichen mit Westdeutschland verhältnismäßig geringe Löhne, wenig Arbeitsplätze, hohe Arbeitslosenzahl, stagnierende Produktion, vermodern der Infrastruktur, rassistische Ressentiments und extrem rechte Tendenzen usw.

Was erwarten die Funktions- und Wirtschaftseliten von der heranverelenden, kommenden griechischen Generation, die teilweise ihre ganze Jugend hinweg nur Armut, Isolation, Zwang und Mittellosigkeit sehen werden?

Es ist schon Skandal genug, dass eine Bevölkerung, sieht man von politischen Akteuren ab, die letztlich Vollstrecker herrschender Willensäußerungen und Verhältnisse sind, durch die Willkür des transnationalen Finanzkapitals mal wieder in die Knie gezwungen wird. Doch die Arroganz und unendliche Selbstbezogenheit der deutschen Regierung gibt die eigentliche Handsignatur wider, die unter dem Kreditprogramm steht. Es geht hierbei auch nicht nur mehr um Griechenland. Ganz Europa und zuvorderst die arbeitenden Bevölkerungen sind dieser unumwundenen und unerbittlichen Mentalität der herrschenden deutschen Kreise ausgesetzt, die sich insbesondere durch Merkel (CDU) zur Schau stellt und die nicht mehr unüberhörbar ist. Selbst angesehene liberale Ökonomen wie Paul Krugman oder Joseph E. Stiglitz sprechen davon, dass Deutschland die „Unterwerfung“ wolle und dass Deutschland die Demokratie “bedeutungslos” sei. Das keinesfalls unplanmäßig, sondern vom engen Kreis der deutschen Regierung taktisch veröffentlichte Grexit-Papier aus dem deutschen Finanzministerium beispielsweise, bei dem der Wirtschaftsminister Gabriel (SPD) eine fast schon dümmliche Rolle gespielt hat, hatte auch das Seinige zur Erhöhung des Drucks getan und die Unterwerfung erzwungen. Und die deutschen Eliten und Konservativen singen auch noch auf diese erpresserische Politik eine Ode. (Tsiparis sprach nach der Vereinbarung von „den extremsten Zielen der konservativsten Kreise in der Europäischen Union.“)

Trotzdem muss hier angemerkt werden, dass die europäische Linke und auch die LINKE in Deutschland völlig überfordert zu sein schien. Dass führende Linke, vor allem Gysi (Die LINKE), der deutschen Regierung den Vorwurf machten, sie verantworte durch ihre Politik, dass der deutsche Steuerzahler in Milliarden Höhe für fremdes Verschulden zu haften habe, spielte letztlich in die Argumentationslinie von Merkel und Schäuble und forcierte die Macht der Alternativlosigkeit der politischen Klasse. Überhaupt ist dieses aus nationalem Repertoire herangezogene Argument verklärend und die Logik desselben befremdlich und wohl nur verständlich, wenn man den eigentlichen Tenor des letzten Bundesparteitags der LINKEN in Bielefeld vom 6./7. Juni 2015 erfasst hat. Beherzte Solidarität, bewusstseinsweckende Aktionen und konkrete Alternativvorschläge hat man von der mehrheitlichen LINKEN seit Januar nicht vernommen. Das Kapital hat keinerlei Hemmungen: Es stellt unverhohlen und radikal mit dem Treuhandfonds die Eigentumsfrage. Ich frage: Wieso stellen umgekehrt Syriza in Griechenland, die LINKE in Deutschland und Linksbewegungen in Europa nicht ebenso grundsätzlich auf der Seite der Produzenten, also der Arbeiterinnen und Arbeiter, die Eigentumsfrage? Oder artikulieren sie zumindest, um die arbeitenden Bevölkerungen Europas aufzuklären – ohne phrasenhafte Wahlstimmenpolitik zu betreiben? Doch die Kritik an der deutschen LINKEN, einschließlich an der Führung Tsiparis, gehört zu einer anderen Schrift. Fest steht: die europäische LINKE hat mit dem 13.07.2015 zunächst verloren.

Ganz Europa, so scheint es, und selbst die (mit-)regierenden Sozialdemokraten aus Deutschland, Frankreich und Italien haben sich hinter dem deutschen Schild und dem deutschen Schwert Merkels (CDU) gescharrt, die die Solidarität, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und das Friedensgebot der europäischen Union zerschlägt und Europa zum Schlachthaus des Kapitals macht, in dessen Arena die europäischen Völker im heiligen Wettkampf gegeneinander kämpfen, stehen und fallen sollen, damit am Ende die Finanziers unter Applaus von Springer & Co. den Profit einstreichen. Und dabei – wir kennen die Substanzlosigkeit unserer Anästhesistin – läuft seit zwei Wochen dieselbe Kassette der Kanzlerin auf Wiederholung, die sie in Fernsehen und Kameras spricht und die sicherlich nach dem Überstehen dieser Woche für die darauffolgenden zwei Wochen gewechselt wird: die Vorteile überwiegen die Nachteile, also guter Kompromiss (und nun der wirkliche Duktus) für deutsche Interessen, an die die europäischen Interessen unmittelbar verbunden sind.

Das ist nicht mein Europa. Mein Europa ist nicht deutsch.

Von Mesut Bayraktar

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