Das Weltbild patriotischer Europäer und das Menschenbild einer impotenten Intelligenz – Teil V

Der demografische Wandel, so unser kluger Autor, betrifft lediglich den klügeren Teil der Gesellschaft. Das bedeutet für unseren Autor, dass dieser für das völkische Blut essentielle Teil ihre „Nettoreproduktionsrate“ zwingend erhöhen muss, da

eine solche Umkehrung des demografischen Trends auf allen Gebieten erhebliche Wachstumsimpulse setzen (würde). (S. 344)

Unser Autor glaubt weniger an den Internationalismus als an den Nationalismus.

Es wird niemals eine transnationale Weltgesellschaft geben. (S. 346)

Und:

Ich finde das – mit Verlaub – wichtiger als die Frage, ob der Wasserspiegel der Nordsee in den nächsten 100 Jahren um 10 oder um 20 Zentimeter steigt. (S. 392)

Was wichtiger?

Dass meine Nachfahren in 50 Jahren und auch in 100 Jahren noch in einem Deutschland leben, in dem die Verkehrssprache Deutsch ist und die Menschen sich als Deutscher fühlen, … in einem Land, das eingebettet ist in einem Europa der Vaterländer (S. 392)

, trotzdem die Welt wegen anhaltender, weltweiter, ökologischer Unvernunft aus den Fugen gerät. Sehr weitsichtig, der nationalkonservative Blick auf das Weltgeschehen – Deutschtümelei!
Es wird immer, will unser Autor sagen, immer Konkurrenz und Kampf unter den Völkern geben.

Die einzige Währung, mit der wir dafür an den Weltmärkten zahlen könnten, sind die Produkte unsere Intelligenz. (S. 354)

Denn,

generell ist für Deutschland empirisch belegt, dass die Fruchtbarkeit der Menschen umso höher ist, je niedriger der Bildungsgrad, der sozioökonomische Status, das Einkommen (dieses Problem hat jede moderne Technologie- und Industriegesellschaft!) und – kausal mit den drei Punkten zusammenhängend – die Intelligenz ist. (S. 357)

Die Methode unseres Autors ist leicht zu durchschauen. Unser Autor folgt einer induktiven Methode, in der er Ausschnitte empirischer Erhebungen hervorhebt und diese mit einem Modell schablonisiert, welches er wiederum, das modellhafte Denken, aus seinem meisterhaften Fach entlehnt. Durch dieses Verfahren schafft er generalisierende „Ergebnisse“ oder vielmehr Thesen, die er wiederum in Korrelationsverhältnisse setzt (wenn A steigt, dann muss B fallen, oder umgekehrt, denn sie „korrelieren“ miteinander!).  So, das ist die ganze, beschränkte Intelligenz unseres Autors.
Auch der demografische Wandel, der, wohlgemerkt, nur den klügeren Teil der Gesellschaft betrifft, ist aus Sicht unseres Finanzspezialisten leicht zu erklären.

Aus ökonomischer Sicht könnte man sagen, dass der einigermaßen erfolgreiche moderne Mensch, der unter vielen Lebensentwürfen wählen kann, sein Leben optimiert, indem er den Grenznutzen(!) unterschiedlicher Aktivitäten zum Ausgleich bringt, und das bedeutet eben weniger stabile Partnerschaften und in diesen Partnerschaften weniger Kinder. (S. 377)

Unser Autor erklärt uns die Logik des bürgerlichen Lebens, in dem der Individualismus zunehmend pervertiert, mit der von ihm zuvor seifig in Frage gestellten Imagination des homo oeconomicus statt umgekehrt die Frage aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive anzugehen. Denn die Selbstbezogenheit des „modernen“ Individuums rührt offenbar vor allem daraus, dass ein immenser ökonomischer Druck auf das ganze Leben des Einzelnen lastet. Nach der Logik unseres Finanzspezialisten ist das willkürliche Kalkulationsmodell, dem sich das Individuum unter dem Begriff des „Grenznutzens“ unfreiwillig unterwirft und der für das Individuum kalkuliert, als das das Individuum für sich kalkuliert, eine zwingende, gute Notwendigkeit. Der Mensch gehört bedrängt – so unser bedrängter Autor!
Nun wirft unser Autor auch das Prinzip der Eigenverantwortung, das er bis dahin so hoch gehalten hat, über Bord und erklärt:

Menschen glauben zwar immer, sie agierten vorrangig aus individuellen Antrieben und eigener Entscheidung, in Wahrheit reagieren sie aber zu großen Teilen vorrangig auf die Erwartungen der Gesellschaft. (S.380)

Das dies so ist, missfällt uns nicht, aber, dass das so bleiben wird und bleiben muss, missfällt uns! Unser Autor ist nicht an der Überwindung des bedrängten Menschen hin zum wahren, wirklichen, selbstbestimmten Individuum interessiert, sondern an der Rückwendung bzw. Pervertierung des bedrängten Menschen bis hin zur völligen Aufgabe seiner selbst und zur selbstlosen Hingabe der Zwangsarbeit – die Mensch-Maschine.
Kommen wir auf die bevölkerungspolitische Kernforderung unseres bevölkerungsbewussten Autors, auf den

fühlbaren Anreiz (S. 389)

Lassen wir unseren Autor selbst sprechen, schließlich ist es diesmal, neben dem Vorschlag der Nachahmung des hirnverbrannten Workfare-Prinzips, die hirnentbrannte Idee unseres Autors. Öffnen wir die Büchse der Pandora vollends, um auf ihren Grund zu sehen:

Es könnte beispielsweise bei abgeschlossenem Studium für jedes Kind, das vor Vollendung des 30. Lebensjahres der Mutter geboren wird, eine staatliche Prämie von 50.000 Euro ausgesetzt werden. (S. 389)

Gut, also ein rat race auf die Prämie – typisch finanzspezialistisch. Weiter!

Eine Prämie könnte helfen und einen Vorzieh- und Anstoßeffekt auslösen. … Die Prämie – das wird die politische Klippe sein – dürfte allerdings nur selektiv(!) eingesetzt werden, nämlich für jene Gruppen, bei denen eine höhere Fruchtbarkeit zu Verbesserung der sozioökonomischen Qualität(!) der Geburtenstruktur besonders erwünscht ist. (S. 390)

Damit erklärt unser Autor Menschen endgültig zum genetischen Code, deren Qualität, also rassische Wertigkeit, mittels Scan-Code ermittelt werden soll, um die Wertigkeit des Volksblutes zu erhöhen. Die Selektion, so die „anstößigen“ Phantasien unseres Autors, vor denen er uns in der Einleitung gewarnt hat, soll dann, das denken wir uns nach alle dem hinzu, die erlauchte Eminenz unseres Autors vollziehen. Unser Autor wünscht sich eine „Geburtenstruktur“ nach seinem Idealtypus.

Wie sagt Hegel (Hegel?! Jetzt wird unser Autor tollkühn!) so poetisch und dunkel: „Die Eule der Minverva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.“ (S. 361)

Unser Autor irrt! Nicht er ist die Eule der Minerva, die er gerne begehrt zu sein, er ist vielmehr der letzte Aasgeier des in Mode gekommenen, kleinmütigen Nationalkonservatismus, der der Welt und dem Menschen eine Fußfessel geben will. Damit schließt der Autor seine Quadratur des Kreises.
Auch unsererseits: Der Worte sind genug gewechselt! Wir haben uns ein Bild gemacht! Der Leser wird sein Resümee machen!

Mit den Worten einer untergegangenen Sprache rufe ich (Unser Autor!) der Politik zu:
Hic Rhodus, hic salta! (S. 408)

Mit den Worten einer lebenden Sprache rufen wir dem Volk zu:

Der Mensch ist etwas Vortreffliches, wenn er wahrhaft ein Mensch ist. (Aischylos)

Von Mesut Bayraktar


Komplett: http://nous-online.net/schriften/das-weltbild-patriotischer-europaer-und-das-menschenbild-einer-impotenten-intelligenz/

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