Aus unseren Feuern – Vom Zündeln, Freundschaft und dem Ostdeutschland-Graufilter

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Aus unseren Feuern“ erzählt von Orten und Menschen, die dem deutschen Literaturmarkt bisher fernlagen. Im Roman geht es um das Aufflammen von Träumen, der Traumlosigkeit und den Widersprüchen, die die Jugendfreundschaft von drei Freunden im Nachwende-Ostdeutschland begleiten. Es geht auch um das Verglimmen dieser Feuer in Zorn, Einsamkeit, ungeschickter Antriebslosigkeit, Rache und naiven Hoffnungen, die sich immer wieder an der Realität stoßen. Dabei erzählt Domenico Müllensiefen von Menschen einer vergessenen Generation, die ostdeutsche Jugend Ende der 90er- und Anfang der 00er-Jahre.

Der Debütroman von Müllensiefen erschien 2022. Der Autor wuchs bei Magdeburg in einer Arbeiterfamilie auf, absolvierte eine Ausbildung zum Systemelektroniker, arbeitete zeitweise als Bestatter und studierte schließlich am renommierten Deutschen Literaturinstitut Leipzig Literarisches Schreiben. In seinem Debütroman gibt es viele autobiografische Bezüge zu der Hauptfigur Heiko Persberg und den Erfahrungen seiner Freunde, die in Familien mit DDR-Sozialisierung aufwuchsen. Insofern zieht sich durch die Biografien der Eltern der Bruch von 1989/90. Das Auseinanderreißen von Familien, die Schulden, die Pleite Familienbetriebes, die Arbeitslosigkeit und eine ohnmächtige Wut gegen einen diffusen Feind.

Leipzig zwischen 1999 und 2014: Heiko und seine beiden Freunde Thomas und Karsten haben Träume, wie das erste Auto, das erste Mal Sex zu haben oder nach Amerika zu reisen. Es wird viel geraucht, wenig geschlafen, geprügelt und gezündelt. Ihre Wege trennen sich am Ende der Teenagerjahre und treffen abrupt wieder aufeinander, als Heiko als Bestatter an eine Unfallstelle gerufen wird. Die beiden Zeitschienen lösen einander im wechselnden Schlag ab und die Geschichte nimmt im Verlauf des Romans an Geschwindigkeit auf.

Müllensiefen verwendet eine Sprache, die sich von einem blumig ausgeschmückten Duktus fernhält, jedoch mit den trockenen Dialogen in fast schon plumper Pampigkeit einen hohen literarischen Wert erlangt und dabei einen tragischen Witz erzeugt. Der Ich-Erzähler Heiko ist zeitweise Auszubildender zum Elektriker, Arbeitsloser oder Bestatter. Es gibt keinen allwissenden Erzähler, er lässt die Figuren selbst in einer Reihe von Dialogen sprechen und verfolgt damit eine Erzählweise, die, wie Müllensiefen betont, seinen Freunden, Familien und Kollegen vertraut ist. Das gelingt ihm und er schreibt ein literarisches Werk, das aus einem Arbeitermilieu hervorgeht und sich auch an dieses richtet. Der Widerspruch liegt jedoch darin, dass hauptsächlich Bürgerliche den Roman lesen. Kann ein Autor mit seiner Literatur diese Grenzen sprengen und wenn ja, wie?

Der Fußball, die Pleite und der Feind

„Irgendwann waren Stasi, Staat und Frau weg, dieses Loch füllte jetzt der Alkohol“. Jeder Elternteil der drei Freunde hat mit der Wende etwas verloren oder zurücklassen müssen. Im Bewusstsein der Figuren wird immer wieder das Feindbild „Wessi“ gezeichnet. Es ist Ausdruck für die sich nie bestätigten, blühenden Landschaften im Osten. Dort sind alle Träume derjenigen geplatzt, die weggingen. Die, die daheimblieben, fingen gar nicht erst an zu träumen. Der Frust ist groß. Ein Bestatterkollege sagt Heiko zynisch, man vollbringe im Westen jeden Tag eine gute Tat, denn: „Man bringt jeden Tag einen Wessi unter die Erde. Jeden Tag kannst du dir einen holen. Jeden Tag.“

Das Thema Fußball und die Spiele der WM oder der deutschen Mannschaften spielen in dem Austragen dieses Feindbilds eine wiederkehrende Rolle. Früher habe man sich im Westen vor den ostdeutschen Mannschaften gefürchtet, nun seien alle guten Mannschaften weggekauft und die Kinder liefen alle mit Dortmund- und Bayerntrikots rum. „Da stecke der Feind schon im Namen.“ Und: „Gegen die hätte man früher die Flinte angelegt, heute renne man denen wie treudoofe Schafe hinterher und sage noch fleißig Danke!“

Die letzten DDR-Kinder, die Elterngeneration, kämpfen derweil um ihre Existenzen und ihre Würde. Die BRD-Bürger – identitär überhöht als „Wessis” – kämen und übernähmen alle Leitungsposten, kauften Gebäude auf, trieben Familienbetriebe in die Pleite, aber kein Ostdeutscher sei im Westen erfolgreich. Alle Figuren, die den Osten verlassen, kommen mit knirschenden Zähnen zurück und müssen sich ihr Scheitern eingestehen. Heiko erlebt auf Montage im Westen zum Beispiel das große Lohngefälle, die Diskriminierung aufgrund von Dialekt und Vorurteilen und reagiert mit der Aussage: „Wir sind deren Kanaken.“ Nach dem Vorschlag, er könne doch den Osten verlassen und auch sein Glück versuchen, antwortet er: „Es müssen auch welche zu Hause bleiben. Es sind schon zu viele von uns weg.“ Bleibt er schließlich aus Stolz auf seine Geschichte und Herkunft oder aus Resignation?

Die schöne neue Welt, sie steht in Flammen

Während die Clique sich zunächst von den hirnrissigen Ideen der Jugend hinreißen lässt, treffen sie zwischen den beiden Zeitebenen immer wieder aufeinander, ohne einander wirklich zu begegnen, bis sie sich am Grab des Dritten wieder zusammenfinden, was gleichzeitig der Ort des Endes ihrer Jugend sein wird. Auf die restlose Privatisierung des volkseigenen Eigentums der DDR und dessen Folgen im Osten Deutschlands Ende der 90er- und Anfang der 00er-Jahre, reagieren alle drei unterschiedlich: Mit Zorn und Ohnmacht, mit Hinwendung zu rechter Ideologie, mit naiven Zukunftsvisionen auf die USA, die schneller und tiefer fallen als gewollt und dem Zurückgebliebenen Heiko möchte der Leser stellenweise mal einen Stoß geben, das Leben in die Hand zu nehmen und nicht weiter in seinem Unglück zu schwelgen. Viele der Charaktere bleiben unglücklich, reagieren emotional und sozial unfähig, sind unzufrieden und einsam. Manchmal begegnen sie dem Leser als die uneigenmächtigen Wendeopfer, bei denen nicht klar ist, ob sie in erster Linie Opfer der BRD oder „ihrer friedlichen Revolution” wurden. Auch scheint es an einigen Stellen den bekannten DDR- oder Ostdeutschland-Graufilter zu geben, der sich trüb über die Erzählung legt und den Leser nicht ermutigt, ein tristes und monochromes Leipzig der traurigen Menschen zu besuchen. Wie es auf dem Buchrücken heißt: „Das Glück kommt einfach nicht näher.“.

Trotz der Erfahrung, als Jugendlicher nach dem Mauerfall in Magdeburg aufgewachsen zu sein, beschäftigt sich Müllensiefen in seinem Roman erstaunlich unpolitisch mit der DDR. Auch der Protagonist betont an einer Stelle: „Ich war noch nie bei einer Wahl! Mich interessiert das alles einen Scheiß! Verdammt noch mal.” “Ich will nur eine vernünftige Arbeit, ich will ein Leben in Frieden.“
Die Grenzen werden vor allem zwischen „Wessi“ und „Ossi“ aufgezeigt, jedoch werden auch Frontlinien zwischen der Arbeiterklasse und westlichen Unternehmen der BRD angedeutet. “Der Schalker”, der Schlachthofbetreiber, der den Familienbetrieb verdrängt hat und an dem schließlich Rache geübt wird, scheint auf Clemens Tönnies anzuspielen, deutscher Unternehmer, der nach der Wende ostdeutsche Betriebe aufkaufte und lange Aufsichtsratsvorsitzender des FC Schalkes 04 war. Für die jungen Männer stellt sich die Systemfrage nicht und der Erzähler nimmt keine Stellung zur eigenen Geschichte in der DDR. Vielleicht auch, weil das große Vergessen des „anderen“ Deutschlands zur Entfremdung der ostdeutschen Jugend zur eigenen Geschichte und so zum abstrakten Gefühl der Alternativlosigkeit im Kapitalismus beiträgt. Man könnte den Roman auslegen als Erzählung über die stärkste Partei im Osten Deutschlands: die Nichtwähler.

Müllensiefen eröffnet eine neue Perspektive auf eine Generation zwischen den Stühlen, deren Eltern eine blühende Welt versprochen wurde, von der im kapitalistischen Deutschland nur wenig übrigblieb. Mit seinem Roman eröffnet er uns eine Welt, ihre Feuer und Geschichten, die noch nicht erzählt wurden.

Von Alina Essberger, 24.10.2023


Domenico Müllensiefen „Aus unseren Feuern“
Kanon Verlag, Berlin 2022
Hardcover, 336 Seiten, 24 €

 

 

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