Existenzielle Angst und eine fucking hässliche Wand
Moritz Franz Beichl nimmt sich in seinem Debütroman eines wichtigen Themas an. Ergebnis ist ein bisweilen recht unterhaltsamer Briefoman, bei dem die Tiefgründigkeit aber etwas auf der Strecke bleibt.
Es ist ein verlockender, wenn auch selten vernünftiger Gedanke, den Schmerz einer Trennung zumindest etwas zu mildern, indem man dem verlorenen Menschen eine Nachricht schreibt. Das weiß auch Lukas. An seinem Entschluss, seinen Ex-Freund – und damit die Leser – als lebendes Tagebuch zu gebrauchen, ändert das nichts. WhatsApp-Nachrichten, handgeschriebene Briefe, eMails, Postkarten, SMS: kaum eine Kommunikationsform bleibt ungenutzt. Denn ob Gedanken über die Freiheit eines Singles beim Stuhlgang, ungewöhnlich dekorierte Möbelstücke oder die Poesie eines One-Hit-Wonders – das Mitteilungsbedürfnis von Lukas ist groß. Schwere Themen wie Selbstmord, Liebe und Freundschaft sind von diesem Bedürfnis genauso umfasst wie das leichte Philosophieren über die titelgebende Abschaffung der Wochentage. Zusammen ergeben seine vielen Gedanken und Gedankenschnipsel eine Geschichte, die sich von einer aufkeimenden Depression in einer Eineinhalb-Zimmer-Wohnung in Berlin über einen Klinikaufenthalt in Wien bis zu einem ungewöhnlichen Leben in Paris zehn Jahre später erstreckt.
Das D-Wort
Als wäre es etwas Verbotenes oder Furchteinflößendes, versteckt der Protagonist hinter diesem Kürzel an einigen Stellen jenen Begriff, der das zentrale Thema des vorliegenden Romans beschreibt: Depression. Das Nicht-Ausschreiben dieses Wortes ist auch ein Verweis darauf, dass es sich hierbei immer noch um ein in weiten Teilen der Gesellschaft tabuisierten Thema handelt. Denn der Reduzierung auf einen harmlosen Anfangsbuchstaben liegt Angst vor der Wirkung des vollen Wortes zugrunde, dieser Angst liegt Nichtwissen zugrunde – und diesem Nichtwissen Tabuisierung.
Zugegeben, bei gutem Willen lässt sich eine geringfügig steigende Sensibilität für das Thema Depression in Kultur und Medien beobachten, nicht zuletzt aufgrund des enormen Vereinsamungspotentials während der Corona-Pandemie; aber: in einer auf Leistung, Konkurrenz und Individualisierung gepolten Gesellschaft wird Depression den Status des Unverstandenen, des nicht Dazugehörenden nie abschütteln können. Leitgedanken wie „jeder ist für sich selbst verantwortlich“ oder „wer hart genug arbeitet, erreicht auch sein Ziel“ sind kein Nährboden, auf dem Verständnis für Depression wächst – Depression selbst allerdings schon.
Verständnis für das Unverstandene
„Wovor habe ich Angst? Und ich konnte nur sagen: vor allem. Selbst am Weg von meinem Zimmer zum Kaffeeautomaten habe ich Angst.“ Leere, Verdrängung, falsche Hoffnung und immer wieder Angst: die Abschnitte, in denen Beichl ungeschönt und eindringlich depressive Gedanken und die Mammutaufgabe, mit diesen Gedanken umzugehen, schildert, gelingen. Sie gelingen, weil sie Verständnis wecken für das Unverstandene, Reflexionen fördern über das Unreflektierte, etwas gesellschaftlich Verdrängtes ins Bewusstsein rufen. In diesem Sinne steckt in diesen Szenen ein aufklärerischer Kern, in den Beichl auch eine implizite, durchaus kämpferische Botschaft an alle Betroffenen einwebt: lasst euch nicht für verrückt erklären, denn ihr seid es nicht – nicht verrückt und auch nicht allein.
Der Roman hätte also durchaus das Potential aufzuwühlen, mitzureißen, doch entweder will der Autor dies nicht oder es will ihm nicht so ganz gelingen. Denn über weite Strecken wirkt der Inhalt recht banal. „Meine gelbe Wand ist so fucking hässlich“, lässt uns Lukas in einer seiner Nachrichten wissen. „Ohne Zwiebeln kann man nicht kochen. Zwiebeln sind der Kern unserer Existenz“, in einer anderen. Sicher, das Phänomen Depression zeigt sich auch oder vielleicht gerade in banalen Dingen wie dem Einrichten einer Wohnung, dem Erledigen des Einkaufs oder dem Besuch eines Clubs. Die Darstellung banaler Handlungen schließt zudem Tiefgründigkeit keineswegs aus. Aber genau die will sich bei Beichls Roman nicht so recht einstellen. Er bleibt stets in einer zynischen, die Dinge nicht ganz ernst nehmenden Erzählweise. Ein Schutzmechanismus seines Protagonisten, könnte argumentiert werden. Nur: wo hört dieser Schutzmechanismus auf und wo fängt die inhaltliche Verantwortung des Autors an? Oder anders gefragt: Versucht mit Sätzen wie „Hast du gewusst, dass Dresden fast in Tschechien liegt? Verrücktes Dresden.“ der Protagonist seine Unsicherheit hinter Humor zu verstecken – oder der Autor?
100.000 € und ein luftleerer Raum
Vielleicht vermag der dramaturgisch durchaus gelungen als moderner Briefroman konzipierte Text auch deshalb keine Tiefgründigkeit zu erzeugen, weil gesellschaftliche Zusammenhänge nicht dargestellt, sondern eher beiläufig erwähnt werden. Die Schwierigkeit, in unserem chronisch unterfinanzierten Gesundheitssystem einen Therapeuten zu finden, in unserer chronisch ausbeuterischen Arbeitswelt ein geregeltes Einkommen zu generieren oder auf unserem chronisch profitorientierten Wohnungsmarkt eine vernünftige Bleibe zu bekommen – das sind keine Probleme, mit denen Beichl seinen Protagonisten konfrontiert. Ohne erkennbares Einkommen hat Lukas im ersten Teil eine eigene Wohnung in Berlin, dank einer Erbschaft von 100.000 €, die einem Deus ex Machina ähnelnd während eines Klinikaufenthaltes auftaucht, hat er im vierten Teil eine Wohnung in Paris. Arbeiten muss – und will – er nicht.
Nun ist es zwar keineswegs notwendig, in einem Buch über Depression auch materielle gesellschaftliche Probleme zu thematisieren. Doch Beichl verpasst hier die Chance, die Geschichte von der individualistischen Ebene auf eine kollektive, allgemeinere zu heben und damit auch den fortschrittlichen Ansätzen des Buches ein wirkliches Fundament zu geben. Unter diesen Umständen schwebt der Roman in gesellschaftlicher Hinsicht größtenteils im luftleeren Raum und präsentiert sich eher als zynisch pointierte psychologische Selbststudie. Auch diese hat ihre starken – und kritischen – Momente, zu einer bleibenden Kritik an jenen gesellschaftlichen Verhältnissen, die zu Depression und ihrer Tabuisierung führen, wird sie allerdings nur bedingt beitragen.
von Daniel Polzin, 30. Mai 2023
Der folgende Text erschien in leicht gekürzter Fassung zuerst in der Tageszeitung “junge Welt” in der Ausgabe vom 15.05.2023. Wir bedanken uns bei der Redaktion für die freundliche Genehmigung zum Abdruck.
Weitere Rezensionen auf Nous:
Mesut Bayraktars “Wunsch der Verwüstlichen” oder Das falsche Leben
Helon Habilas “Reisen” oder Die Klassengewalt sitzt mit im Bus
Şeyda Kurts “Radikale Zärtlichkeit” oder Radikalität in Kinderschuhen
Folgt uns auf Facebook: www.facebook.com/nous.literatur