Krakau

I.

In der Stadt der toten Könige, entlang der Weichsel, die einsam blau ihre bleichen Arme in die Ostsee streckt. Dort, wo das Wissen in alten Universitäten liegt, verschlüsselt und unverdaut und die goldene Freiheit graue Unterdrückung ist, lebt ein Drache mit Schuppen aus Silber, Gold an seinen Klauen. Er hat die Flügel eines Adlers, den Kopf und die Federn; seine Augen, topazglühend in der Nacht, wenn er fliegt zu stehlen Fleisch und Frauen. Zahnräder laufen in seinen Eingeweiden, knacken, zerren und ziehen, Sirenen schreien zum großen Appell, Kohle glüht, Atome gespannt und gespalten. Sein Feuer, das halb die Stadt erhält, halb die Stadt verbrennt, kocht das Blut der Armen in seinem Bauch und häutet die Bevölkerung auf den Straßen.

II.

Arme Hure Babylons, die du deine Beine spreizt, weil weiße Hände sie dir grob auseinander drückten. Du fraßest mich, aus Liebe ließ ich mich fressen. Ich weiß, du willst mich zersetzen. Deine Sippe hat es schon lang auf mich abgesehen. Ich kenne dein bleiernes Lachen, ich erkenne es am Klang, den Spott und Hohn, die Erniedrigung der großen Städte; den Fluch des Abendlandes. Der Drache ist in deinen Leib gefahren und hat dir die Augen ausgepickt. Er lenkt dein Glück und verspielt es jeden Tag. Ich weiß von deinem Geheimnis und es ist schlecht bei mir aufbewahrt. Ich weiß von deinem Elend, und das du dich schämst und weinst bei Nacht. Totgeburt heißt dein Schicksal, solange du dein Schicksal nicht selber machst.

III.

Du trägst Masken, viele und eine, weiß und grau, wie die steinernen Gesichter deiner irrenden Kinder. Engel wachen über ihren Betten, wenn sie schlafen, die Flügel eng um ihre Körper geschlungen; suchen sie sie zu spreizen, die Welt zu verdunkeln, noch einmal hunderte, und noch einmal sechzehn Jahre. Die Pest hast du überstanden, die erste, zweite und dritte Teilung, die große Plünderung, die Schlacht der Materialien. Die Bomben haben dich verfehlt, aber die Splitter dich getroffen. Deine Wunden sind alt und frisch und sie heilen nicht. Begrabe die Vergangenheit zwischen deinen Ohren, mach dich frei von der alten Last. Lecke deine Wunden und verscheuche die Engel, die wie Fliegen auf deinen Leichnam warten.

IV.

In der Steinzeit schon, in der alten, trafen sich die ersten Menschen, hier, vor deiner Zeit, die kommen sollte mit dem Handel, der aus Stämmen Klassen machte, aus Einzelteilen Moleküle und die Welt umstülpte mit der Kraft der Meere. Es war die Zeit des Aufschwungs, der Blüte und Grausamkeit. Sie war gestern und bis heute. Wie ein Stern schaukeltest du auf dem schwarzen Quecksilber der Nacht, betrunken von deinem Spiegelbild.

V.

Aber wer schlug das weiße Gold aus deinen Höhlen, das die See auf deinem Land vergessen hat, wer schlug das Salz aus deinen Steinen? Wer rang es dem Geiz der Natur ab? Du frisst deine Töchter und Söhne und wirst nicht satt. Der Welt gabst du ein Versprechen: Jeder sei willkommen! Ein Vorbild warst du am dritten Mai, als deine Schwester auf Europas rissiger Haut die erste Verfassung ausrief, die zweite auf der Welt! Nachbildung jetzt, Anachronismus der Schreckenschreie Gas und schwanger in deinem Bauch.

VI.

Den roten Frühling und: Das Morgen, gabst du heute auf. Zu schwer war die Last und zu wenig wusstest du von ihr. Der Adlerkopf, der Drache, die Brut des Kapitals – sie flüstern in dein Ohr, die Muschel sich windet tief in den Körper.

VII.

Tolles Freudenhaus, Altstadt junges Krakau, Hochburg der Technologie, unter den Masken, den vielen und der einen, unter dem Rausch und dem Gift, unter dem Gehorsam, der Angst und der Pflicht, ist noch ein Gesicht. Finde es! – findest du es nicht, öffnet das Schlachthaus wieder seine Türen und öffnet Schindler seine Fabrik. Der Turmwächter liegt lange erschossen, seine Trompete neben ihm. Hörst du nicht die Stille, wie sie schreit? Die goldene Horde und ihre Freiheit, dein Joch hat die Stadtmauern durchbrochen. Asche wird den Himmel verdunkeln, herabregnen auf deinen Irrtum, die Strände blass färben und die Ostsee unter sich begraben mit der Unschuld deiner Wünsche. Kein Ritter, kein König hat den Drachen überlistet, der einst unter der Wawel-Burg nistete und nahm, was dir gehörte. Ein Lehrling war’s, ein Schuster und ein Schuster wird es wieder sein.

Text von Kamil Tybel, 04. Okt.’19
Illustration von Claudia Kuhn

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