Über den Roman „Früchte des Zorns“ von John Steinbeck, erschienen im Jahre 1939 – Ein Epos entstiegen aus den Schlachtfeldern menschlicher Verhältnisse.
Die Sonne brannte unbarmherzig über dem roten und über Teilen des grauen Landes. Ihr Feuer drang heiß durch die Atmosphäre, als wäre sie näher gerückt. Die Erde am Boden war schutzlos. Staub brach aus ihren rissigen Rippen und Furchen. Er überdeckte die Landschaft, wie ein straffes Leichentuch, unter dem selbst das Unkraut kaum mehr wachsen wollte. Das Land hatte sich verändert, bemerkten die Männer und Frauen, die mit ihren zahlreichen Kindern auf ihm lebten. Früher, in den alten Zeiten, als die Indianer es noch bevölkerten und die Bisons auf der Steppe grasten, noch bevor Fremde auf Schiffen mit Gewehren kamen und das Land gewaltsam nahmen, da wusste es sich vor der Hitze aus dem schwarzen Schlund der gähnenden Unendlichkeit zu schützen. Satte Präriegräser fischten die trockenen Partikel mit ihren unzähligen, goldbraunen, schmalen Fingern aus der Luft und bewahrten so fruchtbare Erde davor unfruchtbar und abgetragen und zu weiterem Staub zu werden. Die Gräser gibt es nicht mehr. Die, die nach den Eingeborenen kamen, mähten sie ab. Sie pflanzten Korn und Baumwolle, die keine Gegenwehr für den Staub waren, der nun in trockenen Strömen über das rote und über Teile des grauen Landes wütete. Eine Dürre setzte ein und die Ernten der Farmer, die zu Hunderttausenden dort siedelten, blieben aus. Sie nahmen Kredite von Banken, die sie ihnen gerne gaben, in der Hoffnung, das Land würde sich in den Folgejahren erholen.
Das Land erholte sich nicht.
Zur gleichen Zeit, im Westen des Staates, kamen einige Großgrundbesitzer auf eine schlaue Idee. Sie rieben sich die Hände und ließen Handzettel drucken, auf denen zu lesen war, dass sie Orangenpflücker suchen würden für die kommende Saison. Sie druckten vieler dieser Zettel, mehr als sie Frauen, Männer und Kinder benötigten und einige trug der Wind oder die ein oder andere zerlumpte Hosentasche bis in den Osten.
Wir befinden uns in den 30er Jahren, in den Vereinigten Staaten von Amerika, zu Zeiten der ersten Weltwirtschaftskrise, zu Zeiten extremer Arbeitslosigkeit, extremer Armut und extremer Konkurrenz. Wir sind Zeuge eines Ereignisses, das unter dem Namen Dust Bowl in die Geschichte eingehen sollte. Es beschreibt eine Periode von verheerenden Staubstürmen, die über mehrere Jahre hinweg tobten, die ganze Gebiete an Farmland ausrotteten und Ursache einer massiven Völkerwanderung werden sollten. Mit der Ernte verloren die Farmerfamilien ihren Verdienst und mit ihrem Verdienst verloren sie ihre Existenzgrundlage. Bald schon kamen die Banken, die bereits hinter dem Vorhang auf ihren Auftritt gewartet hatten. Sie forderten ihre Kredite und ihre Zinsen zurück, wohl wissend, dass die Farmer nichts hatten. Als diese sich weigerten, schickten sie Männer im Namen des Gesetzes mit dem Auftrag, die Pächter und kleinen Farmer, die seit Generation auf dem Land lebten, es kannten und es bestellten, zu enteignen und sie davon zu jagen.
Wer Rechte hat, der hat auch Pflichten. Wer seine Pflichten nicht erfüllt, der verliert seine Rechte. Ein alltäglicher, genormter Zwang und Ablauf in der Welt von damals wie von heute, der im Oklahoma der 30er Jahre einen seiner strukturbedingten und notwendigen Extrempunkte fand. Das Recht auf uneingeschränktes Privateigentum, mit dem die bürgerliche Welt ihren Freiheitsbegriff und ihre ökonomischen Strukturen begründet, stößt unweigerlich an seine praktische Grenze und entlarvt sich als Fata Morgana, als gehässiges Herrschaftsargument. Ja, versuchen Sie’s nur mal mit der Freiheit. Es hat mal einer gesagt, man ist gerade so frei, wieviel man Geld hat, um dafür zu bezahlen.
Vor dieser Kulisse spielt der episch erzählte Roman von John Steinbeck. Früchte des Zorns schildert in einem messerscharfen Realismus – den wir uns noch genauer ansehen wollen, denn er ist eines der Kernstücke dieses einzigartigen Literatur- und noch immer zeitgenössischen Menschenerlebnisses – die Geschichte der Joads, die im Zuge dieser Katastrophen ihren Besitz und ihre Heimat verlieren. Lasst uns einen Blick auf das ein oder andere Mitglied dieser Familie werfen, die in die Literaturgeschichte eingegangen ist, in ihren Kanon, wie ein Bettler in einen Kristallpalast und lasst uns kurz verlegen ihre Hände schütteln, wie man es bei Freunden von Freunden tut und sie, und ihre Umstände ein wenig kennenlernen und hoffentlich zum Abschied „Bis bald!“ rufen und „Wir werden uns wiedersehen.“
Schuld und Schaufel
Nach einem kurzen ersten Kapitel, das uns in die oben umrissene Situation einführt, lernen wir Tom Joad kennen. Tom, Zweitgeborener der Familie, ist einer der tragenden Rollen des Romans. Er ist der Heimkehrer, an dessen Hand wir das Land und seine Farmer zuerst kennen- und lieben lernen. Er ist kein Mann der vielen Worte, auch wenn er sie zu überlegen und zu gebrauchen weiß. Viel mehr ist er ein Mann der Tat, der, nimmt man ihm den Raum zur Bewegung, entweder erstickt, oder aber explodiert. Auf der anderen Seite ist Tom aber auch empathisch. Er spürt die Leiden seiner Nächsten. Vier Jahre vor Beginn der Handlung wurde er wegen Totschlags verhaftet und ins nicht weit entfernte McAlester Gefängnis abgeführt. Ich habe im Kampf einen umgebracht. Bei einer Tanzerei, und wir waren betrunken. Er hat mir ein Messer in den Balg gejagt, und ich habe ihn mit einer Schaufel totgemacht, die gerade dalag. Habe ihm den Kopf platt und zu Brei geschlagen. Tom hat sieben Jahre gekriegt und vier abgesessen. Er redet nur spärlich über die Zeit im Zellenblock, die er weitgehend unbeschadet überstanden hat. Die Anekdoten, die er Preis gibt, erlauben uns sowohl Anhaltspunkte zu seinem Werdegang, als auch schauerliche Einblicke in die Zustände und gesellschaftlichen Verhältnisse des damaligen Amerikas. Immer wieder gelingt es Steinbeck eindrucksvoll, die Lebensläufe der Figuren gleichzeitig der historischen Begebenheiten und Umstände, mit denen er seinen Roman fortwährend ausdehnt und vertieft, natürlich zusammenfließen zulassen. So erzählt Tom beiläufig, dass ein junger Häftling, nachdem er entlassen wurde, schon nach wenigen Wochen ein Auto stahl, um wieder inhaftiert zu werden, da er in Freiheit Hunger leiden musste, das Gefängnis dagegen als Luxus empfand. Zu einer anderen Gelegenheit erzählt er im Gegenzug von einem weiteren Mithäftling, der versucht hatte auszubrechen, nur war sein Plan schlecht ausgedacht, sodass die Wachen ihn hinter der Mauer mit einem Sack bereits erwarteten. Er sprang genau herein, sie mussten den Sack nur noch zuschnüren und ihn zurückbringen. Die ganze Anstalt lachte über den gescheiterten Fluchtversuch. Wenig später nahm sich der Mann das Leben.
Man sagt doch immer, die Menschen überlegen sich alles. Also, mich haben sie eingesperrt und vier Jahre lang ernährt. Eigentlich sollte ich mich dabei so verändern, das ich’s nicht wieder mache, oder ich sollte so ne Strafe kriegen, das ich Angst habe (…) Aber wenn Herb oder irgendein anderer auf mich losgeht, würde ich’s wieder machen. Ich würde’s wieder machen, ehe ich mir’s überhaupt überlege. Besonders, wenn ich betrunken wäre. Und so ne Sinnlosigkeit gibt einem doch zu denken.
Hinter der Schrankwand des Ichs
Auf dem Weg trifft Tom auf Reverend Jim Casy, einen ehemaligen Prediger, der Tom seinerzeit als kleinen Jungen getauft hatte. Seine Augen waren schwer und standen ein wenig hervor, und die Lider, die sich darüber deckten, waren rot und entzündet. Seine Wangen waren braun und glänzend und haarlos, und sein Mund war voll – lustig und sinnlich. Casy spielt für die Handlung und die Charakterentwicklung einiger unserer Hauptfiguren, wie z.B Tom oder seinen Onkel John, ein reumütiger und einsamer Säufer, den Sünde zerfrisst, eine maßgebliche Rolle. Außerdem werden wir durch ihn auf einen Konflikt aufmerksam, der uns immer wieder auf unserer Reise in den Westen begegnen und der uns in verschiedensten Formen als systematische, flächendeckende Unterdrückung vors Gesicht laufen wird. Als Gewalt der Obrigkeit und Konsequenz der ökonomischen Strukturen, die unbemerkt und zugleich offensichtlich in den Körpern und Köpfen der Menschen reproduziert werden, samt der Widersprüche und ihrer verheerenden Folgen.
In Casys Fall äußert sich dieser Konflikt zunächst religiös. Konkret in der Frage der Sünde, die zuweilen wie ein Peitsche schwingender Folterknecht hinter der Schrankwand des Ichs wütet und an ihm reißt. Und dann – weißt du, was ich dann gemacht habe? Ich habe eins von den Mädchen mit rausgenommen ins Gras und mit ihm geschlafen. Das habe ich jedesmal gemacht. Dann habe ich ein schlechtes Gewissen gehabt und habe gebetet und gebetet, aber das hat nichts geholfen. (…) Schließlich hat’s mich so gequält, dass ich weggelaufen bin und richtig gründlich drüber nachgedacht habe. (…) Ich sage zu mir: „Was ist nur eigentlich mit dir los? Bist du verrückt?“ Und ich sage: „Nein, das ist die Sünde.“ Der Sünder soll seine Sünden bereuen und sich läutern. Anders ausgedrückt: Er soll unter seinen Regelbrüchen leiden und so zurück zu den Regeln finden. Aber Casy verschwand immer wieder im hohen Gras und es fühlte sich gut an, ebenso wie Tom wieder eine Schaufel, die daliegt, schwingen würde, um sich und sein Leben zu verteidigen. Sie bereuen nicht und das macht sie argwöhnisch. Casy beginnt zu zweifeln und im Zweifel entdeckt er den Menschen. „Weshalb müssen wir immer alles an Gott oder an Jesus hängen?“ – „Vielleicht“, habe ich gedacht, „vielleicht ist alles nur die Männer und Frauen, die wir lieben.“ Casy unternimmt, was aus seinem Kontext heraus ein enormer psychischer, ein sinnlicher Kraftakt, ein Kampf gewesen sein muss. Der Prediger wagt es, Gott aus der Welt der Menschen auszuklammern und sich einer der moralischen Herrschaftsinstanzen in seinem Kopf zu widersetzen. Er wagt es, seine bisherige Lebensweise radikal zu verneinen und somit alles, was er war, als falsch, schlecht und als unter Umständen dumm zu verzeichnen. Er löst den Widerspruch, der sich in ihm festgehakt hat und trägt ihn nach außen, raus in die Welt. Er verortet den Fehler dort, wo sein eigentlicher Ursprung liegt. In der Abgeschiedenheit beginnt er seinen Instinkten zu trauen. Er beginnt ihnen Zugeständnisse zu machen. Und durch die Verneinung dringt er in einen Raum vor, den nur Gottlose kennen und den er zuvor als Linie wahrgenommen hatte. Ach was, zum Teufel! Es gibt keine Sünde und es gibt keine Keuschheit. Es gibt nur das, was die Menschen tun. Es ist alles ein Teil von ein und derselben Sache. Und manches, was die Leute tun, ist gut und manches ist nicht gut, aber das ist auch alles, was man sagen kann. Casy entledigt sich seiner alten Haut und hängt seine Priesterkutte an den Nagel. Er will sich verändern. Ein Umstand, den allerdings kaum jemanden außer ihn zu interessieren scheint. Prediger? „Ihr habt nen Prediger? Schnell, holt ihn. Dann kann er uns einen Segen sprechen (…) Schnell holt den Prediger.“ (…) „Aber ich bin doch kein Prediger mehr“, widersprach Casy. Szenen wie diese werden unserem ehemaligen Geistlichen auf seiner Reise nicht erspart bleiben. Und nicht selten wird er, auch wenn seine Inhalte sich verschoben haben, dem gesellschaftlichen Druck nachgeben und predigen. Casys Gewohnheiten haben sich in ihm abgesetzt, wie Salz in Salz übersättigtem Wasser. Rührt man daran und man rührt daran, wirbelt es auf. Zwangsläufig. Sehen Sie, ich habe früher mit aller Kraft gegen der Teufel gekämpft, weil ich geglaubt habe, der Teufel ist der Feind. Aber jetzt hat was Schlimmeres, wie der Teufel das Land gepackt, und es wird’s nicht loslassen, bis mans’s abhackt. Haben sie schon mal gesehen, wie so’n Gila-Ungeheuer zupackt, Herr? Das krallt sich fest, und wenn man’s in zwei Stücke schlägt, bleibt der Kopf doch dran. Und wenn man am Genick zuschlägt, bleibt der Kopf doch dran. Man muß ihm erst’nen Keil in den Kopf jagen, damit er auseinanderplatzt und endlich losläßt.