Zu Gast am freien Markt

Wir zimmern uns eine Weltanschauung
hölzern und kantig wie ein Tisch, ein Stuhl
Und wo gehobelt wird, fallen Späne
Und wo gefressen wird, fallen Krümel

Auf den Tisch wird gestellt
Der volle Teller
Millimetergenau in die Mitte

“So ist es gut”, wird gesagt
“Jeder kann alles erreichen”
Und man setzt sich rings auf die Stühle

Wir zimmern uns eine Weltanschauung
Und wo gefressen wird, fallen Krümel
Und wo gesessen wird, streckt man die Beine aus

Blick über dem Tisch
gerichtet auf den Teller
– angerichtet –
übersieht man, unter dem Tisch
sitzen noch welche
Die zimmern nicht
Die müssen sammeln
von Mangel getrieben
die fallenden Krümel
weichen den Füßen aus
und eine harte Schicht aus Holz
trennt sie von dem Teller

Sie haben keine Stühle
Wir zimmern uns eine Weltanschauung
Und wo gesessen wird,
streckt man die Beine aus
Und wer es sich mit seiner Weltanschauung bequem macht
ist ein Arschloch, das nach unten tritt

Von Till Ernecke, 03.Mai’18 / Illustration von Claudia Kuhn

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