Das letzte Kilogramm

Einzelne Männer und Frauen
sahen einander an:
„Jetzt ist Zeit sich was zu trauen!“,
sagte da ein Mann.
Denn die Arbeit ist schwer
und die Arbeitszeiten lang
und das Geld, das ist wenig,
ein Mensch gewöhnt sich nicht daran.
„Also ist Zeit sich was zu trauen!“,
sagte dieser Mann
und er ging allein zum Chef
und verschwand, bis irgendwann
bis irgendwann auf einer Brücke
sprach ein arbeitsloser Mann:
„Es war Zeit sich was zu trauen,
doch nicht alleine“, und sprang.

Einige Männer und Frauen
nahmen‘s nun genau,
„Jetzt ist Zeit sich was zu trauen!“,
sagte eine Frau.
„Doch nicht allein, nicht alleine
sind wir mit unsern Leiden,
steht vorm Chef nur die eine,
kann sie sich nicht verteidigen.
Denn alleine verkommt das: Nein!
zum: bitte nicht.
So kann Klassenkampf nicht sein,
es braucht Masse, kein Gesicht.
Denn haben wir erst Masse,
dröhnt zum Chef das Nein!
Dann heißt‘s Klasse gegen Klasse,
Der Sieg wär unser, mein und dein.“

Viele Männer und Frauen
trafen sich zum Streik.
„Jetzt ist Zeit sich zu vertrauen“,
sagten alle streikbereit.
Und sie streikten über Tage
Und es schallte laut das Nein!
Und im Nein lag keine Frage,
Für ein Ja standen sie ein.
Ja zur Solidarität,
Ja zur Gerechtigkeit,
Noch hat der Chef sein Privileg,
Noch sind wir nicht so weit.
Der streikenden Masse
fehlt ein letztes Kilogramm,
noch heißt‘s Klasse gegen Klasse;
Wo stehst du? Du bist dran!

Lilja Brik_Knigi Plakat
Lilja Brik porträtiert von Alexander Rodtschenko für den Leningrader Verlag “Lengis” im Jahre 1925. Sie ruft nach Knigi – auf deutsch: Bücher. Ein Ruf nach Literatur für ArbeiterInnen.

 

Von Andrej Bill, 28. April ’18

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