Das bildschöne Fremde

1

Ein Kind wird geboren mit nem Pinselstab
und elterlichem Krug Wasserfarbe,
diesmal Blau ist’s des Kindes erste Narbe
und verbleibt lebenslang bis ins Grab.

2

Fürs Kind ist die Welt erst ein weißes Blatt.
Was soll‘s? Es setzt den Pinsel zunächst ins Blau,
und dann aufs Blatt und malt recht ungenau
lauter Wellen und Wirbel und wird nicht satt.

3

Es vergeht die Zeit und mit ihr das Weiß;
bald malt das Kind mit mehreren Farben,
die es Oma, Opa und Onkel gaben
und ebnen so des Kindes Gleis.

4

Des Kindes Bild scheint abgeschlossen.
Aber siehe da! Es wiegt sich in Not!
Ein andrer Bengel mischte für sich Gelb und Rot
und hinterließ Orange auf dem Blatt – verflossen.

5

Das Kunstwerk ist verschmiert, wohl ruiniert!
Doch blickt das Kind aufs Blatt und findet,
dass sich’s dominante Blau mit Orange gut bindet.
Ein Licht geht auf, ein Sonnenaufgang gen Meer resultiert.

6

Es sollte dem Kind ne Lehre werden:
„Das Fremde bereichert oft die Sicht,
im Einvernehmen schadet es doch nicht!“
Ach, würden diese Einsicht doch mehr Kinder lernen…

Das Bildschöne Fremde BIld

Von Andreas Bill, Illustration von Priska Engelhardt, 29. März 2016


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