Literaturkritik: „Geister“ oder Rapper mit Sprachgefühl

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Der Gedichtband „Geister“ von John Sauter erzählt eine Reise durch ein dystopisches, heruntergekommenes Land.

John Sauter ist 1984 in Freiberg in Sachsen geboren, hat Journalistik und Kunstgeschichte in Leipzig und Sprachkunst in Wien studiert. Sein Lyrikdebüt Startrampen erschien 2019 in der Edition fabrik.transit (Wien), sein zweiter Band Zone 2021 in der edition AZUR bei Voland und Quist. Im Herbst 2023 wurde nun sein dritter Gedichtband Geister in der edition AZUR bei Voland und Quist veröffentlicht. Außerdem war er schon vor seinem Lyrikdebüt unter dem Namen Johnny Katharsis als Rapper bekannt.

Die Landschaftsbeschreibungen in den Gedichten wirken märchenhaft, dystopisch und zuweilen gruselig. Zwischen diesen Beschreibungen eines, wie Sauter sagt, engen Landes finden sich immer wieder Realitätsbezüge. So auch in dem Gedicht, das auf dem Buchrücken zu finden ist: Leipziger Tausend ist wie ein Liebesgedicht geschrieben, spielt aber im Polizeikessel der Tag-X-Demonstration in Leipzig. Weitere Themen sind Angriffe von Rechtsrock-Bands oder der aktuelle Umgang von Hansa-Rostock-Fans mit den Angriffen in Lichtenhagen.

Im Stadion krempeln sie die Bomberjacke um, auf Orange, auf
Warnung
Üben alte Zeichen für neue Pogrome
Einer, der früher dabei war, steht mitten unter ihnen, dort
im Ultrablock
Hängen Sonnenblumen am Gitter, Lichtenhagen
Die Knastzeit war ein Witz, da grinst altes Wissen
Der leitet die Neuen
Obs sie’s schon riechen?
Zwischen Pyrotopf und Bengaloschrei
Was meinst du Sie spüren, jetzt, hier
Es ist wieder
Ihre Zeit

Die Aktualität dieser Ereignisse lässt die Gedichte noch schmerzhafter, intensiver wirken. Dann reichen schon zwei Zeilen, um Beklemmung auszulösen:
Das Geräusch deiner Lederjacke
Neben mir.
Gleichzeitig gibt es in dem Band immer wieder Gedichte, die an ein Du adressiert sind und vergangene Tage beschreiben. Drogenexzesse, Prostitution und Reisen an mystisch anmutende Orte sind vertreten. Diese Themen vermischen sich, wenn zum Beispiel von einem Pornodreh die Rede ist, der pro Schuss bezahlt wird. Schuss sei Kriegstreibersprache. Diese Vermischungen wirken nicht konstruiert oder plump, sondern werden sprachlich fein herausgearbeitet, sodass sich die verhandelten Themen in dieser Einheit originell entfalten.

Die Gedichte scheinen in Verbindung zu stehen, auch wenn dieser Zusammenhang lose bleibt. Oft werden Themen wieder aufgegriffen, einige ziehen sich durch das gesamte Buch, wie zum Beispiel Skinheads und Rockergruppen. Surrealität trifft auf Klarheit und reale Tatsachen. Diese Konfrontation verhandelt Widersprüche der Wirklichkeit und überschreitet gleichsam den Horizont des empirisch Gegebenen. Immer wieder entdeckt man etwas Neues, immer wieder überraschen Wendungen, Anspielungen und kleine Details, die das Lesen wie die Suche nach Gegenständen in einem Wimmelbild machen.

Schon auf dem Umschlag werden diese Verstrickungen und Feinheiten aufgegriffen: eine Collage, gestaltet von Vrena Letreo, die hervorragend den Atem der Gedichte in Bilder übersetzt. Die sechs Zyklen werden von wiederkehrenden, schwarz-weißen Collagen unterbrochen. In jedem der Zyklen wird ein anderes Symbol für die Trennung zwischen den Gedichten verwendet.

Die Sprache ist dicht, direkt und hat einen lockeren Ton.
Trotz der beklemmenden Themen, die unter anderem in diesem Buch verhandelt werden, ist das Buch unterhaltsam und bereichernd zugleich, allein der Sprache wegen.

 

Von Alexander Schwab, 25. Januar 2024

John Sauter „Geister“
Voland und Quist, edition AZUR
106 Seiten, 20 €

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