Highgate – Hier, wo ich war

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Ich ging und ging
Eine kurze lange Zeit
Und eines Tages
Traf ich auf eine Tür,
Ein Tor, das Highgate.
Ich passierte die Schwelle
Und der Platz dahinter
Ist klein, klein in einer großen Stadt,
Aber bedeutend für mich und die Welt.
Es ist kein Ort wie andere Orte
Für Gäste von London,
Für Sightseeingtouristen.
Der Ort ist ein Friedhof.
Der Friedhof ist ein Friedhof
Wie all die anderen
Überall auf der Welt.
Obwohl er anders ist, verschieden.
Auf dem Friedhof stehen
Viele große alte Bäume.
Er ist nicht nur naturnah wie ein Park,
Ein Park in einer großen ehrfürchtigen Stadt,
Sondern fast wie ein Urwald.
Es ist nicht die Natur,
Die grüne Natur des Parks,
Was bedeutend ist,
Noch ist es der Grund
Warum ich hier bin,
Was meinen Verstand,
Meine Gefühle,
Meine Stimmung bewegt,
Obwohl es wichtig ist
Für das Ambiente, die geistige Atmosphäre.
Was bedeutend ist,
Sind die Gräber.
Nicht die Gräber an sich,
Ein Grab wie ein Grab,
Sondern vor allem, wer in dem Grab ist.
Namen.
Namen mit Ziffern,
Zwei Jahreszahlen,
Ein Jahr des Geborenwerdens,
Ein Jahr des Todes,
Ein Datum, wann ein Leben begann
Und ein Datum, wann ein Leben endete,
Das selbe Leben.
Nicht nur Lebensdaten,
Auch Geschichte,
Geschichte von Menschen,
Menschheitsgeschichte
Über alles, was passierte
Oder nicht passierte
Und die Frauen und Männer,
Welche ein Teil der Geschichtsstorys,
Ein kleiner Teil der Kurzgeschichten,
Welche das Leben der Menschheit schreibt.
Was sind Namen und Daten,
Daten des Geborenseins
Und Daten des Sterbens?
Was ist hinter Namen und Daten
Auf einem Friedhof,
Auf einem Grab?
Was verbirgt sich dahinter,
Was bleibt von einem Menschen,
Was bleibt von einem Leben?
Die Antwort ist,
Wie Bob Dylan sagt „Blowing in the wind“:
Nur du kannst wissen,
Herausfinden,
Was ein Leben bedeutet.
Ich ging zurück,
Sagte Goodbye zu Karl Marx und Eric Hobsbawn
Und all den anderen
Und ich versprach ihnen:
Eines Tages kehre ich zurück
Und werde euch darüber berichten,
Was ich in der Zwischenzeit getan habe.
Das Tor vom Friedhof,
Das Tor vom Highgate schloss sich,
Schloss sich für immer.
Heute.
Und ich schaute einen Moment zurück,
Blieb allein dahinter stehen,
Allein mit meiner Stimmung, meinem Verstand
Und meinen Gefühlen
Über und zwischen meinen Gedanken,
Diesen Gedanken, dem Nachdenken
Über das Leben und der Frage,
Was bedeutet ein Leben,
Was ist ein Leben heute,
In der spätbürgerlichen Gesellschaft,
In der kapitalistischen Zivilisation
Und wie sollte es sein,
Was kann ich tun für eine bessere,
Für eine humanere Welt,
Dass nie ein Kind mehr weinen muss
Vor Hunger,
Vor Angst und Not,
Wegen der Traurigkeit
Seiner Lebensumstände,
So wie die Welt jetzt ist,
Wie die Welt gestern war
Und heute sein wird?
Ich höre unwillkürlich „Imagine“
Von John Lennon und Yoko Ono
In meinem Kopf:
„You may say I’m a dreamer
But I’m not the only one,
I hope some day you’ll join us
And the world will be as one”.
Du kannst gehen zum Highgate,
Zu diesem Friedhof
Für deine Antworten.
Welches Lied wird
In deinem Ohr sein?

Text von Roland Wanitschka, 17. Feb’21
Foto von Lukas Schepers


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