Krieg im Frieden: Rechtes Aufbäumen in Polen

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Seit der Machtergreifung der nationalkonservativen PiS begannen, wie zuvor prognostiziert, die Henker nach Kaczyński Ordre mit substantiellen Reformen die ersten Schritte für den Umbau des polnischen Staates und die klerikal-nationale Umgestaltung der polnischen Gesellschaft einzuleiten. Die in ihrer Machtvollkommenheit gewogene nationalkonservative PiS drückte seit Dezember letzten Jahres eine Reform nach der anderen in weniger als zwei Monaten durch die gesetzgebenden Organe der dritten polnischen Republik. Es wird nicht lange dauern, auch dies in der vorigen Schrift prognostiziert, bis die Gefolgsleute des rabenschwarzen Kaczyński die Verfassung nach ihrem nationalkonservativen Gutdünken ändern werden. Doch zuvor muss sie die gesellschaftliche Verfassung entsprechend manövrieren, um das politische Staatsschiff auf nationalkonservativen Kurs zu navigieren. Danach muss sie nach Bundesgenossen im europäischen Haus suchen und ein Teil des internationalen Kapitals zum Förderer gewinnen, worin es die arbeitende und Bauernbevölkerung ins Messer laufen lassen wird.

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Von groß nach klein: Antoni Macierewicz (Verteidigungsminister), Mariust Blaszczak (Innenminister), Beata Szydlo (Ministerpräsidentin), Jaroslaw Kaczynski (Vorsitzende der PiS und Strippenzieher) / Quelle: Newsweek.pl

Zusammengefasst ergangen bisher vier gesellschaftspolitisch wichtige Reformen:

  1. Justizreform (der Eklat im Hinblick auf die Benennung der Verfassungsrichter im Dezember außer Acht gelassen, welches ein Vorspiel war), die u.a. die Zweidrittelmehrheit, welche nun Verfassungsrichter brauchen, um Entscheidungen zu treffen, und die Behandlung der Fälle nach Rechtsanhängigkeit (Zeitpunkt des Klageantrags), nicht nach Dringlichkeit umfasst.
  2. Einführung des Mediengesetzes, wonach die Regierung die Direktoren der öffentlich-rechtlichen Medienanstalten bestimmen.
  3. Novellierung des Polizeigesetzes, wonach insbesondere Fernkommunikationsmittel praktisch willkürlich abgehört und überwacht werden können und die Zeugnisverweigerungsrechte von Journalisten(!) und Ärzten entfallen.
  4. Grundlegung der Sozialreform (wobei diese noch im Gang ist und noch sein wird), wonach von den ursprünglichen Wahlversprechen abgerückt u.a. ein Kindergeld in Höhe von ca. 120 Euro allen Eltern ab dem zweiten Kind gewährt werden sollen, die eine bestimmte Einkommensgrenze nicht überschreiten. In dem Zusammenhang ist die Einführung einer Bankensteuer von 0,44% auf die Aktiva der Banken und Versicherungen zu erwähnen wichtig, die zwar wahrscheinlich als Zinsen oder Gebühren an die Kunden umgewälzt werden, aber von dem sich die PiS-Regierung die Finanzierung ihrer Sozialreform vorstellt.

Staatspolitisch und institutionell betrachtet ist der erste Punkt eine konsequente Folge der Machtergreifung der PiS unter des rabenschwarzen Kaczyńskis Direktion. Die Sejm, das polnische Parlament, gehört mit absoluter Mehrheit der PiS. Das Staatspräsidialamt, in dem Präsident Duda residiert, gehört der PiS. Die zweite Kammer des polnischen Parlaments, der Senat, gehört der PiS. (Verfassungsmäßig bilden diese drei Organe strukturell wechselseitige Puffer der Exekutivmacht, die jetzt durch die Alleinherrschaft der PiS aufgehoben ist und sich dadurch überstrukturell in der Hand Kaczyńskis konzentriert. Kaczyński ist nun der Puffer.) Nun hat die PiS durch einen Eklat im Dezember ihre Juristen zu Verfassungsrichtern geschlagen und das Verfassungsgericht, in denen die Wächter der Staatsverfassung sitzen, institutionell durch die Justizreform faktisch entmachtet. Also kann man sagen, auch das Verfassungsgericht, da machtlos und letzte institutionelle Zuflucht der politischen Opposition, gehört nun der PiS. Kaczyńskis Kalkül geht auf. Der polnische Staat steht institutionell unter seiner Direktion. Der Staat gehört der PiS. Der nächste Schritt in dieser Hinsicht ist, wie bereits oben erwähnt, eine Verfassungsänderung und schließlich die Ausschaltung der politischen Opposition. Sie hat, wenn keine demokratischen Aufstände entstehen, bis 2019 Zeit, denn bis dahin sind die drei Organe in ihrer Hand. In einem Interview hat der rabenschwarze Kaczyński jüngst durch Umweg erklärt, dass er zu einem Kompromiss im Streit um das Verfassungsgericht bereit wäre, sofern die Opposition eine Verfassungsänderung unterstützt. Der Coup dahinter ist ein Schach-Matt: Verfassungsrichter sind die Sprachkanäle der Verfassungsgesetze. Sind die Verfassungsgesetze geändert, ist der Sprachkanal der Verfassungsrichter geändert. Ist der Sprachkanal der Verfassungsrichter geändert, ist eine Justizreform, die die Arbeitsweise der Richter durch Änderung der Verfassungsgerichtsordnung bestimmt, entbehrlich. Wahrlich, der rabenschwarze Kaczyński übertrifft in diesem Punkt mit seiner politischen Raffinesse den größten europäischen Staatsdenker der vorrevolutionären Geschichtsepoche vor 1789, Montesquieu! Ich schlage vor, der rabenschwarze Kaczyński sollte ein De l’Esprit de lois für das 21. Jahrhundert verfassen!

Der zweite Punkt, die Einführung des Mediengesetzes, ist leicht zu durchschauen, auch wenn der polnische Justizminister, Ziobro, es als „demokratischere Lösung“ beschwichtigt, in dem er die deutsche Mediengesetzgebung als „Zensur“ denunziert. Der Sinn und Zweck des Mediengesetzes ist die nationalbewusste Massierung der polnischen Kollektivgedanken, um sie der nationalkonservativen Regierung gegenüber willfähriger zu machen. Doch die Vergangenheit lehrt: die offensichtliche Diktatur der Gedanken stärkt den Gegengedanken, nämlich Wider der Gedankendiktatur, wie bereits, um bei Franzosen zu bleiben, Voltaire wusste – insbesondere im Zeitalter des Internets ist der Gegengedanke schrankenlos.

Der dritte Punkt, die repressive Novellierung des Polizeigesetzes, ist die unoffizielle Folge der offiziellen Gedankendiktatur durch das Mediengesetz, um die Folgsamkeit der unoffiziellen Gedanken der polnischen Bevölkerung gegenüber den offiziellen Polengedanken der rabenschwarzen Kaczyński-Herrschaft zu kontrollieren. Frei nach dem Motto: du sollst nicht nur hören, was wir denken, du sollst auch denken, was wir denken.


Der Staat gehört der PiS. Der nächste Schritt in dieser Hinsicht ist eine Verfassungsänderung und schließlich die Ausschaltung der politischen Opposition.


Und schließlich der fünfte und interessanteste Punkt: die Sozialreform, die die rabenschwarze Liebe Kaczyńskis zu seinem Volk, dem imaginärem Polentum, offenbaren soll. Wie oben erwähnt, ist die begonnene Sozialreform zunächst durch das Kindergeld bestimmt, wobei das Kindergeld ein variables Exempel für die wahre Bestimmung der Sozialreform ist, nämlich die: unmittelbar die Gering- und Mittelverdiener aus dem Land in ihrer Kaufkraft zu erhöhen, um mittelbar das Bürgertum der Städte gegenüber ausländischem Kapital zu stärken. Wie in der letzten Schrift analysiert ist die Gesellschaftsstruktur Polens stark klassifiziert in wohlständige Angestellte, in sozial randständige Arbeiterinnen und Arbeiter und armständige Bauern – ähnlich wie zu Zeiten der Weimarer Republik, allerdings ohne Weimarer Chaosverhältnisse. In Polen herrscht eine starke, aber klassische gesellschaftliche Teilung in Stadt und Land. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, wie in jeder Gesellschaft, sind Arbeiterinnen und Arbeiter, hauptsächlich in der staatlich betriebenen Montanindustrie und in ausländischen Maschinenfertigungsfabriken beschäftigt, sowie Bauern, die von der Nahrungsmittelproduktion leben. Aufgrund des starken ausländischen Kapitals und der erheblichen Abhängigkeit des polnischen Kapitalismus von westlichem, hauptsächlich deutschem Import auf der einen Seite und starken Abhängigkeit der Landwirtschaft vom Export gen Russland sowie der Industriewaren vom Export gen Westen, auch hier hauptsächlich Deutschland, ist die Lunge des polnischen Kapitalismus in bipolarer Weise zwischen Im- und Export zerspannt. Sie kann nicht frei – sofern frei ein passendes Wort ist – atmen. (Hinzu kommt der synergetische Druckeffekt der großen Geschäfte durch die wirtschaftliche Beziehung zwischen Deutschland und Russland, jüngst Nord-Stream Pipeline, auf das polnische Kapital, von denen Polen mehr abhängt, als sie mitbestimmen zu können.) Ferner kommt hinzu, dass massenweise polnische Arbeiterinnen und Arbeiter in instabilen, billigen Werk- und Zeitarbeitsverhältnissen schuften, die ihnen substantielle Ersparnisse und spürbaren Konsum unmöglich machen. (Daher wandern Facharbeitskräfte, insb. im IT-Bereich, gerne nach bspw. England, wo sie besser entlohnt werden, sozial abgesichert sind, aber auch dort, und nicht in Polen, Steuern zahlen.) Diese Situation erschwert, oder macht gar unmöglich, dass ein starker Binnenmarkt in Polen entsteht, der durch ein erhöhtes Lohnniveau eine erhöhte Kaufkraft voraussetzt, und die Auswanderung wichtiger Fachkräfte hemmt. Denn der Kapitalismus, in diesem Fall der nationale polnische Kapitalismus lebt von zahlungsfähiger nationaler Nachfrage, d.h. Kaufkraft, die abnimmt, was produziert wird. Einmal eine erhöhte Konsumtion in Schwung gesetzt, das dem Binnenmarkt neue Impulse geben soll und neue, nationale Industriezweige zur Folge haben würde, ginge dann, lehrbuchmäßig, der erträumte Zyklus kapitalistischer Prosperität seinen Weg. Vor dem Hintergrund zurück zur Sozialreform: Was ist nun der wirkliche Sinn und Zweck beispielsweise des Kindergeldes für einkommensschwache Klassen im Rahmen der Sozialreform? Es dient dem Zweck eine nationale Kaufkraft zu generieren, die das nationale Kapital, das Bürgertum, stärken soll, um ausländischem Kapital Paroli im Schlachtfeld der globalen Konkurrenz zu bieten. Dabei würde durch Steuernahmen aus Kapital und Lohnarbeit auch für den Staat was herausspringen und er könnte sich durch einen eigenen starken Binnenmarkt aus dem Zangengriff der imperialen Kräfte lösen, keine billige Werkbank Westeuropas mehr sein. Dies einmal geschehen – was ich nicht denke – fällt – was ich nicht zu denken brauche, da eine Zwangsläufigkeit – das „Soziale“ der Reform wieder zurück in die dunklen Wälder der Karpeten.

Allerdings bleibt fraglich, wie die Regierung die Sozialreform finanzieren will, in dessen Rahmen sie von den Wahlversprechen beispielsweise neben dem Kindergeld, was ursprünglich allen Familien und ab dem ersten Kind zugesagt wurde, auch bei der Unentgeltlichkeit der Medikamente für Rentner ab 75 Jahren abgerückt ist. Nicht mehr alle Medikamente sollen für die Adressaten unentgeltlich sein, sondern nur die billigsten, deren Kosten bisher ohnehin von den Krankenkassen erstattet wurden, d.h., nach Berechnungen von Ökonomen, umgerechnet 1,50 Euro pro Person pro Monat. Zwar will die PiS-Regierung, wie oben erwähnt Aktiva der Banken besteuern, aber jeder Ökonom, selbst der Ökonomenheilige Ricardo, wird dafür bürgen, dass die Banken die Steuern als Zins weiter an den Konsumenten, nämlich an jene weiterreichen wird, deren Kaufkraft die Sozialreform zur Stärkung des nationalen Bürgertums erhöhen soll. Aus den Fängen des Kapitalismus entkommt man nicht durch Taschenspielereien; das sollte doch der rabenschwarze Kaczyński, der, wie wir gesehen haben, Montesquieu gründlich studiert hat, um ein Marschall Piłsudski des 21. Jahrhunderts zu werden, wissen, zumal er reichlich Ausstattung hatte, um in der roten Volksrepublik den Kapitalismus zu studieren. Wie dem auch sei!


Denn der Kapitalismus, in diesem Fall der nationale polnische Kapitalismus lebt von zahlungsfähiger nationaler Nachfrage, d.h. Kaufkraft.


Das Urteil des rabenschwarzen Kaczyński ist gleichgültig. Die Wächter des internationalen Kapitals entscheiden, und sie haben kürzlich entschieden. Standard & Poor’s (S&P) hat überraschenderweise die polnische Kreditwürdigkeit von „AAA“ auf „BBB+“ gesenkt und die Aussichten des Landes von „neutral“ auf „negativ“ herabgestuft, da die „Effizienz der Institutionen“ durch die kürzlichen Reformen leide. Unabhängig von der perfiden Rolle von Ratingagenturen, die bestimmen, wie es um ein Land aussehen wird, weil sie prophezeien, ist es ja maßlos naiv und tölpelhaft wie der polnische Finanzminister, Szalamacha, der S&P vorzuwerfen, sie verfolge „politische Motive“. Herr Szalamach, Finanzjoungler Kaczyńskis und Zögling international agierender Profitkanzleien, wie Clifford Chance, denken Sie etwa, Kreditratinggesellschaften seien unpolitisch! Doch Moment, ihr seid Katholik? Na dann wispert ihnen nächtlich zur klerikalen Geisterstund‘ sicherlich Papst Johannes Paul II. ihre Absolution zu: Herr, vergib ihm, denn er weiß nicht, was er tut!

Seit Sommer 2015 ist die Warschauer Börse auf Talfahrt. Mit der PiS-Machtübernahme im Dezember wurde sie steiler. Nun nach den Reformen, die die „Effizienz der Institutionen“ gefährden, ist die Talfahrt völlig haltlos – zu beginn der Woche hatte der polnische Aktienindex den stärksten Tagesverlust seit sechs Jahren. Gleichzeitig ist durch die kürzliche Beendigung der Nullzinspolitik durch die Fed (US-Zentralbank) in Polen geparktes Spekulationskapital zurück in die USA geflossen, also weg, und der polnische Zloty ist seit Jahresbeginn deutlich gesunken, mittlerweile auf 4,50 im Verhältnis zu einem Euro.

Mag sein, dass auch hieraus die nationalkonservativen ihren Nationaloptimismus schöpfen, mit der sie, den Kruzifix auf die Brust drückend, eine nationale Stärkung Polens bestreben, nämlich, indem sie erwarten, dass der billige Zloty in ihre Karten spielen würde. Die Verbilligung des Zloty gegenüber starken ausländischen Währungen verteuert nämlich Importe und stützt damit wie eine Subvention indirekt polnische Exporte wie nationale Anbieter auf dem Binnenmarkt, was u.U. zur Diversifizierung des polnischen Marktes führen kann, d.h. Entstehung neuer nationaler Produktionszweige. Doch wird tatsächlich ein billiger Zloty das Im-/Export Dilemma des polnischen Kapitalismus retten? Sagen wir ganz diplomatisch: die herrschende Klasse Polens ist ehrgeizig im Angesicht des stummen Zwanges des Kapitals.

Wie in der vorangegangen Schrift festgestellt, bestrebt das polnische Kapital, das Bürgertum, nachdem es sich an der deutschen und westlichen Mutterbrust satt getrunken zu haben dünkt, sich nun von seiner Patronin loszusagen und selbst gehen zu lernen. Das willfährige Kind wird, nachdem es Glanz und Gloria seiner Vorbilder erhaschen durfte, zum störrischen Kind, das selbst Glanz und Gloria tragen will – die Arbeiterinnen und Arbeiter wie Bauern sollen die Esel spielen, indem sie die Spesen zahlen. Offensichtlich fehlt in Polen eine fortschrittliche Linke, die in den gesellschaftlichen Kämpfen verankert ist; Razem lässt hoffen. Allerdings, mag der rabenschwarze Kaczyński und seine Scharen noch so Polentum und Polenwerte und Polenstärke wollen, der Lauf der Geschichte hängt nicht von ihrem Willen ab und er lässt sich nicht durch Renationalisierung, Rassentrennung, katholischem Katechismus, Verbrüderung mit Nationalbornierten wie Orban, Le Pen, AfD, Pegida und Konsorten, brechen, ohne sich selbst tödlich zu verletzen – selbst wenn das europäische Kapital zur Zeit eine beunruhigende Tendenz zur Bundesgenossenschaft mit den Rechten weist. Den Lauf der Geschichte zu brechen obliegt fortschrittlichen Klassen, die nicht vom Kapital leben, sondern es zu überwinden versuchen, weil sie unter ihr schuften.

Ich will nicht erörtern, was der Kapitalismus sonst zur Folge hat. Das würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen und bräuchte eine eigene Schrift. Außerdem tun das zur Genüge Zahlen und Studien, wie eine aktuelle Oxfam-Studie zeigt, gleichwohl es an kühnen und umsichtigen Intellektuellen fehlt, die jene Zahlen und Studien fortschrittlich und zukunftsweisend zu interpretieren und zusammen zu setzen verpflichtet wären, um die Pflichten der Völker vor der Geschichte zu formulieren. Aber auch der Mangel an Intellektuellen ist nicht Gegenstand dieser Schrift, sondern Polen.


Den Lauf der Geschichte zu brechen obliegt fortschrittlichen Klassen, die nicht vom Kapital leben, sondern es zu überwinden versuchen, weil sie unter ihr schuften.


Aber da wir nun einmal geschichtlich geworden sind, schulden wir auch dem polnischen Außenminister, Waszcykowski, ein Wort, der die Welt vor der Welt der Vegetarier und Radfahrer, der Rassenmixtur und Religionskritiker warnt, „als müsse sich die Welt nach marxistischem Vorbild automatisch in nur eine Richtung bewegen“: Marx, der seine Theorie aus der Praxis extrahierte und nicht aus nationalem Kleindünkel, mag Widersprüche in seiner Theorie, die „marxistisch“ zu bezeichnen schon von Gedankenleere zeugt, haben. (Welche Theorie hat keine Widersprüche?) Recht hatte er aber offensichtlich in der Prognose, dass die kapitalistische Produktionsweise sich um die ganze Erdkugel ausdehnen und die Völker enger zusammenspannen wird. In der Tat! Aber aus dem universellen Charakter des Kapitals folgt die existentielle Universalität der Leidenden, die bei untragbaren Zeiten das Joch, unter dem sie leiden, universell umstoßen werden.

Dagegen hilft die Liederlichkeit des religiösen Nationalkonservatismus, national-obskurer Voluntarismus und Renationalisierungsphantasien nichts, die in der Konsequenz, selbst wenn sie große Teile des Kapitals für sich gewinnen sollten, gemessen an dem technologischen Fortschritt darin münden wird, dass alle sich am Ende gegenseitig die Köpfe abschlagen. Denn, wie dem Kapitalismus inhärent, stehen nationale Kapitalien einander bis auf den Tod feindlich gegenüber.

Von Mesut Bayraktar

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