2021 wurde Louise Glück der Literaturnobelpreis für ihr literarisches Schaffen verliehen. Die US-amerikanische Autorin hat ihr Leben der Lyrik gewidmet, der Kern ihres Werks besteht aus Gedichten. So hat sie seit den 70er-Jahren dreizehn Gedichtbände in englischer Sprache veröffentlicht, darunter zum Beispiel Ararat (1990), The Wild Iris (1992) oder Averno (2006). Ihr jüngster Gedichtband Winter Recipes from the Collective, zu Deutsch „Winterrezepte aus dem Kollekitv“, ist 2021 erschienen, zwei Jahre vor ihrem Tod. Im Luchterhand Verlag ist es im selben Jahr zweisprachig erschienen und wurde von Uta Gosmann ins Deutsche übersetzt.
Die Weite hinter dem Kleinen
Glücks Gedichte atmen. Sie atmen eine tiefe Verbundenheit zum Leben, eine stille Melancholie, die hoffnungsvoll ist und sich sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft wendet. Sie fordern etwas Neues, aber auch das Alte darf dabei nicht vergessen werden. „How heavy my mind is, / filled with the past. / Is there enough room / for the world to penetrate?” Die Zeilen sind schmucklos und einfach. Daraus ergibt sich eine Klarheit, die den Rhythmus der Gedichte ausmacht und die gleichzeitig für die von Glücks Zeilen ausgehende Magie sorgt.
„But words are not the answer“, lautet eine Zeile aus dem einleitenden Gedicht, das als eine Art Prolog vor dem Hauptteil des Bands steht. Genauso bleibt auch in Glücks Gedichten dieser Rest, der sich nicht in Worte fassen lässt, eine Negativität, die ständig mitschwingt und zu einer Totalität strebt, die sich erst außerhalb von Zeilen und Buchstaben entfaltet – im lebendigen Leben.
„Die Verleugnung des Todes“
In dem zweiteiligen Gedicht „The Denial of Death“ wird eine Geschichte erzählt. Das lyrische Ich befindet sich auf einer Reise mit seinem Partner. Es hat seinen Reisepass zurückgelassen, an diesem Punkt steigt der Leser ein: „I had left my passport at an inn we stayed at for a night or so“. Der Reisegefährte zieht weiter, das lyrische Ich bleibt in dem Hotel zurück, in dem sie als letztes übernachtet haben, „a beautiful hotel, in an orange grove, with a view of the sea“. Er sendet Postkarten, die nach einer Weile aufhören. Das lyrische Ich bleibt mehrere Monate im Hotel, liest die Karten, unterhält sich mit dem Rezeptionisten. „Do not be said, he said. You have begun your own journey.” Das lyrische Ich hält inne, bleibt an demselben Ort. Die Berichte des ehemaligen Reisegefährten sind die Verbindung zur Welt. Der Rezeptionist führt mit ihm einen Dialog, in dem es zu sich selbst sprechen kann. So wird der Gedichtband eröffnet mit einer Parabel, die die Situation der Lyrikerin im Moment des Schreibens nachzeichnet. Bevor sie sich auf die nächste Reise begibt, nimmt sie sich Zeit, das Erlebte aufzuschreiben. Dabei bewegt sie sich nicht, denn sie muss es festhalten. „I could hear the clock ticking, / presumably alluding to the passage of time / while in fact annulling it.“ So überwindet sie den Tod.
Natur als Bezugspunkt
Immer wieder wird deutlich, dass die Natur in ihren verschiedensten Formen ein zentraler Bezugspunkt ist. Das können die Bäume sein, die ihre Blätter verlieren, die Dunkelheit, die sich über die Landschaft legt, „die Schatten auf dem Schnee, von Tannen geworfen“. Im Unterschied zu den anderen Gedichtbänden Glücks, zum Beispiel The Wild Iris, wirken die Naturbeschreibungen in Winter Recipes from the Collective reduzierter und gezielter. Hier tritt das kontemplative, philosophische Moment stärker hervor, allgemeine Schlüsse werden gezogen und aufgestellt, Erfahrungen werden beleuchtet und beurteilt. Das lyrische Ich äußert jedoch immer wieder ganz explizit seine Verbundenheit zur Natur. „Leo thinks the things man makes / are more beautiful / than what exists in nature / and I say no”, heißt es im Gedicht, das den Band schließt. “Ah, he says, you are dreaming again / And I say then I’m glad I dream / the fire is still alive”. Die Natur als lyrische Verbündete tritt als Kraftquelle gegen die kapitalistische Entfremdung hervor.
Die Brücke zwischen zwei Sprachen schlagen
In der zweisprachigen Ausgabe, die 2021 im Luchterhand Verlag erschienen ist, lassen sich Glücks Gedichte besonders gut lesen. Aufgrund ihrer Klarheit, ihrer Einfachheit und ihrer Prägnanz sind sie im Original nicht schwer zu verstehen. Hierbei ist es der Übersetzerin Uta Gosmann ausgezeichnet gelungen, die Verse und ihren Rhythmus ins Deutsche zu übertragen, sodass auch eine Lektüre in der Übersetzung die Eigentümlichkeit von Glücks Gedichten transportiert. Dennoch sind die Verse im Englischen oft kürzer – was natürlich an der unterschiedlichen Verfasstheit beider Sprachen liegt. Daher wird die Prägnanz und Klarheit, die Glücks Zeilen ausmachen, im Original besonders greifbar und es empfiehlt sich, die Gedichte erst im Englischen, dann auf der Folgeseite im Deutschen zu lesen.
Von Svenja Hauerstein, 01. Juli 2024
Louise Glück, „Winterrezepte aus dem Kollektiv“,
aus dem amerikanischen Englisch von Uta Gosmann
Luchterhand Verlag, München 2021
Hardcover, 79 Seiten

