Am Tresen

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„Schau dich um“, schreit einer. Er hat eine rote Nase und glasige Augen. „Ist das nicht eine wunderschöne, gottverlassene Bar. Schau dich um, Mann. Siehst du diesen langen und absurd breiten Tresen? Ist er nicht wunderbar? Wie riesig er ist! Das muss ein Baum gewesen sein, was? Da haben ein paar Äxte sicher nicht gereicht, um den klein zu kriegen. Da mussten sicher dicke Maschinen ran. Rums Rums! Und schon fällt er. Haa! Und das Ding erst hierher zu schiffen! Das muss ein Akt gewesen sein.“ Er trinkt gierig einen Schluck. „Sieht aus wie Mahagoni, fühlt sich auch so an. Ganz glänzend und glatt und die schicken Vasen und kleinen Teelichter, die sie drauf gestellt haben. So muss das aussehen. Das nenn ich mal Ambiente. Und dieser Hocker mit den lederbestickten Mustern. Und die silbernen Haken, an denen man die gute Garderobe aufhängen kann. Und natürlich gibts hier massig guten Stoff! Massig guten Stoff, hörst du? Damit die Kehle auch ja nicht trocken bleibt. Gin, Wodka, Rum, Whiskey, Sekt, Champagner, egal. Alles gibts hier. Und Frauen gibts, man muss ihnen nur zwischen die Beine greifen. Hörst du, zwischen die Beine, dann werden sie schon nass und willig. So läuft das hier. Hier geht alles, in dieser Bar, an diesem Tresen. Alles, was du dir erdenken kannst. Jedes Getränk und jeder Wunsch wird einem hier von den Lippen abgelesen. Was gibts geileres als diese Bar, frag ich dich? Nur nicht genieren. Schau dich um, mein Freund, alle sind heiter. Lach doch auch. Ist es nicht schön, wenn Menschen lachen? Schön ist das. Ich finde das schön, ich muss dann selber lachen. Sie kennen keine Scham, wenn sie fröhlich sind. Und wieso auch? Wieso schämen, wir wollen feiern. Ja, feiern wollen wir. Mit Grund, ohne Grund, was solls. Neben diesen schwitzenden Fremden hier und mit der Flasche in der Hand, da kann ich das Leben so richtig auf der Zunge schmecken. Ich will darauf kauen, es zergehen lassen und herunterschlucken. Dann kribbelt es so im Bauch. Das ist geil. Da geht mir direkt einer ab. Und es läuft Musik, also feiern wir. Wir atmen, also feiern wir. Scheiß auf alles. Immerhin leben wir nur einmal. Wozu der ganze Stress? Wozu immer dieses pessimistische Gequatsche, frag ich dich, wenn man auch hier am Tresen sitzen und saufen kann? Und feiern und Frauen zwischen die Beine greifen, ohne sich zu schämen. Und Fressen gibts, was du willst. Musst nur den Finger heben, dann stellt man dir ne üppige Platte vor die Nase. Nur den Finger heben. So viel gibts, dass man sich den Finger nach dem Heben in den Hals stecken müsste, damit die Sonne morgen scheint. Wobei das Wetter doch eh keine Rolle spielt, in dieser Bar, an diesem Tresen. Wir haben unser eigenes Licht hier. Hier scheint immer die Sonne, wie im Solarium mit Schwarzlicht und wärmt uns wenns kalt ist. Also was solls. Solange man jeden Tag hier in dieser Bar, an diesem Tresen sitzen kann. Ich verstehe die Leute nicht, die immer nörgeln und jammern. Die Welt ist ein Tresen, und am Tresen sollten man trinken und lachen. Trinken und lachen sollte man!“
„Trinken und Lachen?
„Ja! Trinken und Lachen!“
„Schön wärs.“
„Hörst du nicht zu?“, beharrte der Erste, „Mann, du hörst nicht zu. Die Welt ist ein Tresen, Mann. Ein geiler, glatter Tresen. Lass uns draufsteigen und das Tanzbein schwingen, mal so richtig durchdrehen!“, er steigt auf die Bar und tanzt.
Der Zweite schaut auf seine Uhr. Müde greift er sich eine Schürze. Er geht hinter den Tresen und irgendwo im Raum hebt sich ein Finger.
Und der Erste lacht mit weit geöffnetem Maul.
Der Zweite, der lacht nicht.


Aus der 8. Ausgabe
Von Kamil Tybel, 29. Mai’18
Illustration von Priska Engelhardt

 

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