Filmkritik: Hell or High Water

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In John Steinbecks Roman „Früchte des Zorns“, einem schonungslos-realistischen Bild der Klassenverhältnisse im Amerika der 30er Jahre, gibt es eine Szene, in der ein verzweifelter Farmer denjenigen erschießen will, der ihm sein Land weggenommen hat. Doch der Fahrer des Traktors, der gerade sein Haus rammt, erklärt ihm trocken, wenn er ihn umbrächte, käme ein anderer. Nach seinem Auftraggeber gefragt, antwortet der Mann ihm, es sei eine örtliche Bank, die wiederum ihren Befehl aus dem Osten bekommen hätte. Resignierend fragt der Farmer, wo das denn aufhöre – er hätte keine Lust zu verhungern, eh‘ er den Mann umgebracht hat, der ihn aushungert. Mehr als 75 Jahre nach dem großen Steinbeck zeichnet der Schotte David Mackenzie in seinem Film „Hell or High Water“ ein ebenso authentisches Bild der amerikanischen Gesellschaft und wenn sich der Zuschauer am Ende die ehrliche Frage stellt, was sich in all der Zeit eigentlich geändert hat, wird er schockiert feststellen: Nichts.
Es ist im Grunde schwer den Film einem spezifischen Genre zuzuordnen, ist die Geschichte doch im Kern nur das Mittel, sozusagen der Pinsel, mit dem das Porträt eines Amerikas gezeichnet wird, wie es die großen Medien in ihrer treuen Verteidigung von acht Jahren Obama hartnäckig wegzuschreiben versuchen. Am ehesten handelt es sich um eine weitgehend ruhig erzählte Kriminalgeschichte, die nicht zuletzt aufgrund ihres Schauplatzes im Westen des US-Bundesstaates Texas unverkennbare Western-Elemente enthält. Denn die Tatsache, dass praktisch jeder Einwohner eine Waffe hat und (vorsichtig formuliert) auch durchaus bereit ist, diese einzusetzen, ist vermutlich der offensichtlichste, aber nicht der einzige Punkt, welcher den Zuschauer Parallelen zu den Zeiten Wyatt Earps ziehen lassen könnte. hell-or-high-water2Schluss ist mit den Parallelen dann wohl allerdings spätestens bei der Figur des Texas Rangers Marcus Hamilton – hervorragend dargestellt von Jeff Bridges – der herzlich wenig Gemeinsamkeiten mit berühmten Revolverhelden vergangener Zeiten aufweist. Kurz vor seiner Pensionierung stehend, jagt (oder zumindest verfolgt) er zusammen mit seinem Partner, dem Halbindianer Alberto, die beiden Bankräuber Toby und Tanner Howard, die es hauptsächlich auf Filialen eines ganz bestimmten Finanzinstituts, der „Texas Midlands Bank“, abgesehen zu haben scheinen. Im Laufe der Geschichte kommen sich die beiden ungleichen Handlungsgruppen, zwei Polizisten auf der einen und zwei Brüder auf der anderen Seite, immer näher und vor die Wahl gestellt, sich zwischen einer der beiden Seiten zu entscheiden, werden wohl die meisten Zuschauer hoffen, sie mögen sich nie begegnen. Denn der vielleicht größte Verdienst des Films besteht gerade darin, mittels hervorragend gezeichneter Charaktere, intelligenten Dialogen und ungeschönten Alltagseindrücken die simple Erkenntnis zu vermitteln, dass am Ende des Tages im Grunde alle zu den Verlierern gehören – alle außer der Bank. Oder wie es ein knochiger Mann im Diner auf die Frage hin, wie lange er schon dasitze, treffend zusammenfasst: „Lang genug um zu sehen, wie die Bank ausgeraubt wird, die mich seit 30 Jahren ausraubt.“
Doch ist diese Darstellung der Banken, ihre Herausstellung als „Bösewichte“, möglicherweise übertrieben oder zumindest zu einseitig?
Nein. Denn sie sind das Symbol der modernen Klassengesellschaft, des Kapitalismus – unverschleiert und ohne jede produktive Zwischenstufe, geht es ihnen um nichts anderes, als die Vermehrung von Reichtum um jeden Preis. Wenn der ausbeutende Unternehmer den Arbeiter auf die Straße wirft, sind sie es, die ihm das Haus wegnehmen, die Ranch oder die Hoffnung, seinen Kindern ein besseres Leben als das eigene zu ermöglichen. Folglich kommt man nicht umhin ein untrügliches Gefühl der Gerechtigkeit zu empfinden, wenn Toby Howard, von Chris Pine wunderbar zweifelnd und getrieben dargestellt, sich anschickt genau jene Bank zu beklauen, die ihm das Land wegnehmen will. Natürlich verbirgt sich diese Wegnahme hinter Worten wie „Hypothek“, „Pfändung“ oder „Kreditvertragsklausel“, wie sich eben im Kapitalismus für fast jeden noch so dreisten Diebstahl der herrschenden Klasse eine legalisierte Verkleidung findet. Dass es gerade die beiden sympathischen, teilweise an ein altes Ehepaar erinnernden Ranger Marcus und Alberto sind, welche die Drecksarbeit für die Herrschenden erledigen, verleiht dem Film schließlich jene entscheidende Tragik, in der sich die ganze Perfidie kapitalistischer Herrschaftsmethoden widerspiegelt.
hell-or-high-water1Die Tatsache, dass gerade die weiße Arbeiterklasse Amerikas ihre einstigen Privilegien im stetig schärfer werdenden globalen Konkurrenzkampf mehr und mehr verliert, hat einerseits einem hemmungslosen Demagogen wie Donald Trump den Weg ins Weiße Haus geebnet. Auf der anderen Seite gibt es aber auch jene Verzweifelten und Abgehängten, die angesichts der sich alle vier Jahre wiederholenden Wahl zwischen zwei Interessenvertretern der herrschenden Klasse keine Hoffnung mehr auf eine politische Vertretung ihrer eigenen Interessen haben. Und wenn diese dann keinen anderen Ausweg mehr sehen, als im Stile ihrer Vorfahren wieder selbst zur Waffe zu greifen, sind es eben nicht die Damen und Herren in den Hochhäusern der Wall Street, die ihr Leben aufs Spiel setzen um die bestehende Ordnung zu verteidigen, sondern es sind Polizisten wie Marcus und Alberto – Menschen, die letztlich genauso abhängig vom nächsten Gehaltscheck sind wie die Masse der Bevölkerung, doch als Instrumente missbraucht werden, ein System aufrecht zu erhalten, das nur einem verschwindend kleinen Teil der Bevölkerung dient.
Die Geschichte besticht durch eine Ehrlichkeit, nicht zuletzt auch in Bezug auf den brutalen Raub von Indianerland als Fundament des modernen Amerikas, dass man kaum glauben möchte, es handele sich wirklich um eine amerikanische Filmproduktion. In seiner Authentizität und Eindringlichkeit kann sich der Film durchaus mit großen, vergangenen Darstellungen des Charakters der amerikanischen Klassengesellschaft eines Sinclairs oder eben Steinbecks messen lassen. Zudem wird die recht simple und dennoch spannend erzählte Story in ruhigen, intensiven Bildern, die dem Zuschauer die Möglichkeit geben, sich in die Atmosphäre hineinzuversetzen, auf die Leinwand gebracht. Eine stimmige, wenig verwunderlich sehr country-lastige Filmmusik (wobei der Trailersong, ein gelungenes Cover von Bob Dylans „Knockin On Heaven’s Door“, überraschenderweise nicht vorkommt) und ein herrlicher (meist schwarzer) Humor, der sich vor allem aus dem skurrilen Charakter der Bewohner des texanischen Westens speist, komplettieren schließlich das Gesamtbild.
„Hell or High Water“ ist ein stilistisch wie inhaltlich geschlossener Film, dem es gelingt – in einer Medien- und Kulturlandschaft, welche hauptsächlich darauf ausgerichtet ist die Bevölkerung mit oberflächlicher Effekthascherei abzulenken – die Dinge vom Kopf auf die Füße zu stellen und auf geradezu verblüffend einfache Art und Weise aufzuzeigen, was schief läuft im Land der unbegrenzten (Un-)Möglichkeiten.

Von Daniel Polzin, 05.Feb`17


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