Krieg im Frieden: Aussichten des 20. September in Griechenland

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der-griechische-regierungschef-tsipras-setzt-zumindest-derzeit-nicht-auf-putin-als-partner-Nahezu philosophisch lässt sich mit Bezug auf Tsipras sagen: das unbelehrbare Individuum ist dazu verdammt, in die Falle seines Einfalls zu treten. Doch fürwahr, Politik ist keine Angelegenheit individueller Befindlichkeiten und ist hart im Umgang, wenn man sie mit Einfällen zu bestreiten versucht. Denn Einfälle sind planlos, wären sie planvoll, dann wären sie Strategien.

Am kommenden Sonntag, den 20. September 2015, finden die Neuwahlen in Griechenland statt. Historische Bedeutung, wie das „Oxi“ vom 5. Juli 2015, hat die Wahl keinesfalls. Vermutlich wird der Ausgang der Wahl folgenlos die Folgen des dritten Memorandums vollstrecken – und diesmal, gleichgültig, welche Partei nun die Regierung stellen mag, mit harter Hand, ohne Wenn und Aber, ohne Rücksichten, ohne Neuverhandlungen, ohne Demokratie. Die letzten acht Monate haben die realen Kräfteverhältnisse in der Europäischen Union offengelegt und gezeigt, dass sowohl die Union wie die herrschenden politischen Klassen vom Neoliberalismus durchdrungen sind, d.h. von der politischen Ideologie, nach der politische Institutionen die Interessen des Kapitals vorbehaltslos durchzusetzen haben. Gleichzeitig zeigt die Offenlegung auch, dass nach innen eine stärkere Einheit der Linken im Verbund mit der ungeheuerlichen Mehrzahl der Bevölkerungen – Arbeiterinnen und Arbeiter, d.h. Lohnabhängigen – und eine konfrontative Ausrichtung nach außen notwendig ist.


Als Linker reicht es nicht aus an die Vernunft politischer Gegner zu appellieren, als Linker muss man vernünftig handeln


Die Situation in Griechenland ist vielfach schlecht. Zum einen ist für die Griechen die Neuverhandlungs-„Option“ verwirkt, was bedeutet, dass das am 11. Juli beschlossene und am 15. wie 22. Juli durch das griechische Parlament ratifizierte dritte Memorandum ohne radikalen Bruch unanfechtbar Geltung hat. Zum anderen ist die Bevölkerung mit dem Hoch am 5. Juli („Oxi“), dem anschließenden Tief ab dem 11. Juli (Drittes Memorandum) und dem permanenten, zermürbenden ökonomischen Elend allgemein demoralisiert, wodurch rechte Kräfte starken Aufwind erfahren und die mit Januar 2015 erkenntlich gewordene Bewegung progressiver Kräfte zu lahmen beginnt. Des Weiteren hat Tsipras mit seiner Führung eine Spaltung innerhalb der Syriza riskiert und damit die Zersplitterung der Linken weiter befördert statt die Einheit der Linken zu fördern. In jeder Hinsicht hat er, als allgemeine Repräsentation der griechischen Linken und als konkreter Repräsentant der Syriza, die machtpolitische Position linker Kräfte im Zeitraum zwischen dem 25. Januar (Wahlsieg der Syriza und Regierungsübernahme) und dem 20. September 2015 (Neuwahlen in Folge des am 20. August 2015 erklärten Rücktritt seitens Tsipras) nicht erweitert, sondern weiter begrenzt.

Neben dem in Höhe von ca. 50 Milliarden Euro gesetzten Privatisierungsfonds, der griechisches Volkseigentum an internationale Oligarchen verscherbeln soll, und den massiven Kürzungen von Arbeits- und Sozialrechten etc. bei gleichzeitiger Verteuerung der Lebens(unterhalt)skosten (Erhöhung der Mehrwertsteuer etc.) wird Griechenland in den nächsten drei Jahren ca. 86 Milliarden Euro zufließen. Was geschieht mit diesem Geld? Laut den Aussagen von Dr. Weißgerber vom Bundesministerium für Finanzen (BMF) beim Bundespressekonferenz am 21. August 2015 sind 54 Milliarden Euro für den Schuldendienst, d.h. für Zinsen und Tilgungsverpflichtungen, 25 Milliarden Euro für die Rekapitalisierung von Banken, 7,6 Milliarden Euro zum Aufbau von Reserven und 7 Milliarden Euro für den Abbau von Zahlungsrückständen bedacht – im Klartext: alles ins Portfolio der Banken! Das ist die sogenannte „Solidarität“ Brüssels und der Euro-Staaten, also die „Solidarität“ des Euros mit dem Euro, also die „Solidarität“ des Kapitals mit dem Kapital, d.h. Profitmaximierung. Wo bleibt die menschliche Solidarität mit der griechischen Bevölkerung, wo bleiben die 11 Millionen Menschen? Sie gibt es nicht, denn eben sie – die menschliche Solidarität – sei „unsolidarisch“, sagen uns unsere Regenten.

Wie dem auch sei, fest steht, das dritte Memorandum ist ein ökonomischer Staatsstreich, es ist erpresserisch wie unerbittlich, es trägt die deutsche Signatur. (Nebenbei: aus dem aktuellen Quartalsbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich [BIZ] geht hervor, dass deutsche Banken größter ausländischer Gläubiger griechischer Unternehmen sind. Ansonsten handelt es sich bei den Gläubigern um das unbeherrschbare Finanzkapital; Versicherungen, Banken, Fonds etc.)

Griechenland steckt in einer desolaten, institutionell wie politisch ohnmächtigen  und ökonomisch elendigen Situation. Wie man es dreht und wendet: ausgehend von der Souveränität eines Landes hat die griechische Syriza-Regierung diese Situation seit dem 25. Januar mitverschuldet, die ihren fortschrittlichen Ausschlag am 5. Juli erklomm und ihren destruktiven Umschlag ab dem 11. Juli erlang. Man verstehe das nicht falsch: mit fortschrittlich und destruktiv sind in diesem Kontext die politischen Tendenzen und Gestaltungsräume gemeint, die Syriza verantwortet. Es scheint, dass an dem langen und anstrengenden Abend des 11. Juli mit Tsipras etwas geschah, was ihn dazu bewegte, die griechische Linke, zumindest die Syriza zur Konformität mit der neoliberalen Euro-Politik Brüssels zu dressieren. Schließlich hat er anschließend die Weisungen aus Brüssel unangefochten hingenommen, das Memorandum durch das griechische Parlament mit Stimmen der Opposition trotz beträchtlich mahnender Abweichler aus den eigenen Reihen ratifiziert, am 17. Juli 10 Mitglieder seines Kabinetts – darunter alle vier der „Linken Plattform“ – abgesetzt und ausgetauscht und schließlich den Vorschlag, das Zentralkomitee der Syriza zu berufen, ignoriert und abgelehnt. Die Geschichte wird über das Geschehene richten. In der gegenwärtigen Zeitgeschichte lässt sich jedoch resümieren, dass die Kapitulation von Tsipras‘ nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft sein wird.

An dieser Stelle wird man einwenden, dass Tsipras keine Alternative hatte, der neoliberale Konsens in Brüssel unerschütterlich war und eben dieser Konsens Tsipras erpresst habe. Das stimmt in der Logik, aber nur dann, wenn man die ursächlichen Bedingungen der Logik, wozu auch taktische Ausgangspunkte gehören, nicht betrachtet. Diese Logik hat nach strategischer Seite hin ihren Anfang bereits in der Machtübernahme der Syriza am 25. Januar. Mit der Machtübernahme hat Tsipras kein Wort mehr von Schuldenschnitt und, was das Wichtigste ist, kein Wort mehr vom Euro-Austritt verloren. Abgesehen von der Richtigkeit oder Falschheit eines Euro-Austritt: Die Robustheit seiner Wörter wurde aufgegeben, in etwa so, wie jemand, der sich morgens wegen einem behördlichen Schreiben echauffiert, seinen Mantel überwirft und umgehend zur Behörde geht, um seine Empörung zu verkünden; dann aber zwangsweise eine Wartemarke zieht, den ganzen Vormittag auf seine Nummer wartet, um sich nunmehr beruhigt der Sache gemäß sachlich beim Sachbearbeiter zu beschweren und einen formularmäßigen Widerspruch einzureichen, welcher unangefochten abgelehnt wird. Zurück zu Tsipras: Nach Amtsübernahme hat er sogar unzählige Male bekräftigt, dass ein Euro-Austritt kategorisch nicht in Frage käme. Ich behaupte, dies war – verhandlungstaktisch und politisch betrachtet – äußerst fahrlässig, naiv und fatal. Denn de facto hat Tsipras, wo er schon sowieso materiell nichts zu bieten hat, sich mit dem Rücken zur Wand gestellt und seinen Gegnern gesagt: lassen sie uns verhandeln. Er hätte genauso sagen können: erschießen sie mich. Vermutlich hat er erhofft, in seiner Rundreise quer durch die europäischen Herrschaftshäuser Verbündete zu treffen, die sich mit ihm an die Wand stellen.


Schäuble hat getan, was er tun musste, er hat getan, was er tun wollte, und – klassenmäßig betrachtet – er hat es außerordentlich gut getan.


Umsichtige – im rein politischen Sinne – Politiker und Diplomaten wie Unterhändler tragen vor allem ein Grundgesetz stets tief in ihrem Hirn: in Anbahnung eines Vertrages, also in dem vorvertraglichen Stadium der Verhandlung, ist der Schein alles und das Sein nichts. Das bedeutet, dass die Durchsetzung eigener Forderungen von der Lage der eigenen Position abhängt, die wiederum von Scheinbarkeiten bedingt wird. Dies im Hinblick auf Tsipras‘ Vorgehen hieße: den Schein, einen Euro-Austritt aufrecht zu erhalten, ohne ihn ggf. wirklich zu wollen, was die Gegenseite bei entsprechender Rhetorik nicht wissen muss, hätte den tatsächlichen Forderungen von Tsipras mehr Nachdruck, mehr politisches Gewicht verliehen und den Bevölkerungen in Europa als emanzipatorische Aussicht gedient, die sich wiederum dann noch solidarischer und kämpferischer hätten zeigen können. Solche Druckmittel, die bewusstseinserhebende Ausstrahlung auf Bevölkerungen haben können und Räume für Bewegungen eröffnen, hat Tsipras seit dem 25. Januar völlig missachtet. Mehr und mehr hat er, statt den Horizont einer Bewegung weiter zu öffnen, Gewerkschaften an seinen Tisch zu bitten, die Bewegung in seinem Amt personifiziert. Er wurde sogar immer zögerlicher, zaghafter, schob – mit Verlaub – den in Rhetorik völlig unpolitischen, zu exzentrischen, aber äußerst kompetenten Varafoukis vor. Und dazu muss Folgendes angemerkt werden: Brüssel und Schäuble etc. haben solche radikalen Druckmittel, die ihrerseits natürlich reaktionären Charakter haben, bis zu Letzt – man denke an das kuriose, am Abend des 11. Juli „plötzlich“ erschiene Papier vom deutschen Finanzministerium, das einen zeitweisen Grexit beinhaltete – offen gehalten und angewendet. Deswegen muss man nüchtern feststellen, dass insb. Schäuble als Politiker einen hervorragenden, ja lehrhaften Job gemacht hat. Solche Druckmittel, und der Euro-Austritt ist nur eines von vielen – man denke an einen einseitigen Schuldenschnitt oder gar ein Nato-Austritt – hat sich Tsipras von Anfang an willentlich und wissentlich verbaut. Und wenn wir schon bei Schäuble sind, so noch ein paar Wörter zur Empörung der europäischen, insb. deutschen Linken, über das „unverantwortliche“ Vorgehen Schäubles.

Ehrlich gestanden, warum diese Verwunderung? Warum diese Empörung? Wo ist die Weitsicht linker Denker? Warum dieses stillschweigende Vertrauen an jemanden, mit dem man in keinerlei Hinsicht verbunden ist? Schäuble hat Jahrzehnte hinweg das heute bestehende europäische Gefüge aufgebaut. Er ist ein Agent dieser Politik, dieser Wirtschaftsweise und des Neoliberalismus. Hat man wirklich erwartet, dass er wegen 11 Millionen griechischen Menschen ein linkes Erweckungserlebnis erfährt und sein Machwerk unterminiert? Das ist ebenso naiv, wie teilweise Tsipras es war. Schäuble hat getan, was er tun musste, er hat getan, was er tun wollte, und – klassenmäßig betrachtet – er hat es außerordentlich gut getan. Er hat die Stimme seines Gottes ausgeführt. Es heißt, es macht keinen Sinn, einem Tiger vorzuwerfen, dass er Fleisch frisst. Ich ergänze: wenn man ein Tiger bekämpft, muss man dafür sorgen, dass er kein Fleisch erhält. Die Linke sollte sich von der Illusion befreien, dass Agenten wie Schäuble den Menschen zum Mittelpunkt ihres Wirkens haben. Als Linker reicht es nicht aus an die Vernunft politischer Gegner zu appellieren, als Linker muss man vernünftig handeln, d.h. im Verbund mit der und für die arbeitenden Bevölkerung permanent tätig sein. Tsipras hat sich neben Schäuble letztlich konzept- und alternativlos gezeigt, wo doch die Tradition der Linken auf das Streben nach Freiheit verweist, nämlich die Freiheit der Menschen vor der Geschichte, d.h. wo die Menschen bewusst ihre Geschichte machen statt verklärte Zufälligkeiten zu verleiden. Was ist Alternative, wenn nicht eben diese Freiheit? Wo Tsipras‘ Politik zunächst eine sukzessive Entwicklung aufwies, die in Demokratisierungsprozessen in Gesellschaft, Politik und insbesondere Wirtschaft hätte münden können, die grundsätzliche Fragen hätte artikulieren können, wie im Wahlkampf vor Januar 2015 geschehen, hat er die Willkür der Geschichte über die Menschen walten lassen. Und der Willkür ausgesetzt zu sein, ist die schlimmste aller Unterdrückung.

Zudem hat Tsipras unleugbar demokratische, fortschrittliche Kräfte, insb. die „Linke Plattform“ innerhalb der Syriza, mit dessen populärsten Kopf Lafazinis, in den eigenen Reihen seit dem 11. Juli schrittweise liquidiert, d.h. beseitigt. Dieser Schachzug von Tsipras war ebenso falsch, wie im Gegenzug die Abspaltung der Gruppe um Lafazanis zur sog. „Volkseinheit“ (LAE), wo doch eine innerparteiliche Opposition nützlicher wäre. Objektiv hat Tsipras durch die Abspaltung der LAE und das Unterlassen, zur Einheit der Linken in Griechenland hinzuarbeiten, sowie mit der über die griechische Bevölkerung ausstrahlende Inkaufnahme einer allgemeinen Demoralisierung der Sache des Sozialismus nicht unwesentlich geschadet. Das war historisch unverantwortlich. Statt den 11. Juli als die endgültige Einsicht zu begreifen, dass das „Oxi“ vom 5. Juli im Verbund mit der Euro-Elite unmöglich umsetzbar ist, und den am 5. Juli „eingegangen“ Verbund mit der Bevölkerung zu stärken und zu organisieren, einen sog. Plan B einzuleiten (den anscheinend nur Varafoukis & Co. bedachte, für den er jetzt seinen Kopf als Sündenbock hinhalten muss), den Kampf mit Brüssel auf die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter in Griechenland und Europa zu forcieren, hat Tsipras jede Möglichkeit einer breiten linken Einheit, die Demokratisierung und Sozialismus hätte einleiten können, in Sand gesetzt. Im Übrigen hätte jene Alternative unkalkulierbare demokratische und linke Kräfte in ganz Europa freigesetzt. Zwar gäbe es dann kein Euro-Kapital, aber man hätte kraft eines durchdachten Programms unverfügbare Solidarität und Arbeit, d.h. für den Einzelnen: Essen, Obdach, Perspektive. Abermals: stattdessen hat man  die Krise der bestehenden Verhältnisse und die zyklische Krise des Kapitals zu einer reinen finanzbürokratischen Sachfrage reduziert, sich in die Abstraktionen des Kapitals begeben, so die soziale Dimension ausdestilliert, Interessen von Arbeiterinnen und Arbeiter unklar oder konservativ bestimmt und damit die soziale Bewegung gebremst, und jene Sachfrage eingeengt in eine reine Währungsfrage: den Euro, unter den darüber hinaus die griechische Bevölkerung, samt eine ganze Generation junger Menschen, Qualen und Fremdbestimmung zu verleiden hat. Ein solidarisches Europa ist im 21. Jahrhundert unerlässlich und wichtig, aber ein solidarisches Europa heißt nicht, Europa sei der Euro. Was man verkannt hat, auch die LINKE hierzulande verkennt, ist die Strangulierung des Geistes durch Merkel, der Euro sei „mehr“ als ein Werkzeug, „mehr“ als ein bloßes Mittel, „mehr“ als Tauschmittel zur Bedarfsdeckung. Auf dieses Spiel haben sich bedauerlicher Weise auch Teile der LINKE eingelassen. Doch jenes „mehr“, das sich in „Scheitert der Euro scheitert Europa“ zusammenfasst, ist eine Mystifikation und bedeutet entmystifiziert: Scheitert der Euro scheitert Merkel. Das hätte die LINKE hervorheben müssen und vor diesem Hintergrund die Solidarität der Arbeiterinnen und Arbeiter von Deutschland bis Griechenland nach Spanien über Italien hin zu Frankreich etc. definieren müssen. Zu Griechenland: Revolutionäre Realpolitik bedeutet untragbare Verhältnisse schrittweise zu entmystifizieren, um bei entsprechenden Bedingungen im großen Sprung das Scheitern dieser untragbaren Verhältnisse zu erwirken, damit neue, basis- und rätedemokratische Verhältnisse bis zur Spitze der Bewegung aufgebaut werden können. Diese Chance hätte Griechenland mit der freisetzenden Energie am 5. Juli gehabt. Die Verantwortlichen haben es unterlassen, und das Land gleitet nun in die Barbarei.


Jenes „mehr“, das sich in „Scheitert der Euro scheitert Europa“ zusammenfasst, ist eine Mystifikation und bedeutet entmystifiziert: Scheitert der Euro scheitert Merkel.


Jetzt sieht es folgendermaßen aus: Laut aktuellen Umfragen griechischer Medien (To Vima, Avgi, Real News, To Paron) eine Woche vor dem Wahltag  kommen Syriza und konservative Nea Demokratia auf jeweils 26, x %, wobei Syriza um ein Haar breit Vorsprung hat. Die neonazistische Goldene Morgenröte kommt auf bis zu 7 %. Um die 4 % kämpfen kommunistische KKE, linksliberale To Potami und sozialdemokratische Pasok miteinander. Schlusslicht ist die Volkseinheit (LAE), die um 3 % und damit um den Einzug ins Parlament ringt. Nehmen wir an, die Wahl wird nach den Umfragen, allenfalls mit leichten Abweichungen, ausgehen und 10 % Sprünge, wie im Januar, wird niemand schaffen. Tsipras hat diese Woche nochmal betont, dass sowohl eine „Regierung der nationalen Einheit“, wie Nea Demokratia, Pasok etc. anboten, als auch eine große Koalition mit der Nea Demokratia nicht in Frage käme (, wobei das Letztere nach dem Rechtstendenz von Tsipras nicht gänzlich auszuschließen ist). Nehmen wir noch die allgemeine Demoralisierung in der Bevölkerung, ziehen wir den partiellen Verlust der Glaubwürdigkeit Syriza, eine „wirkliche“ Alternative zu sein, heran und berücksichtigen wir die weitere Zersplitterung im linken Lager.

Was fällt auf? Sowohl Syriza wie Nea Demokratia sind auf Koalitionspartner angewiesen.

Welche kommen für die Syriza in Betracht? Im Grunde genommen gar keine, da die rechte Anel schon damit zu ringen hat, die 3 % Hürde zu erklimmen, und die KKE jegliche Zusammenarbeit verweigert.

Welche Koalitionspartner kommen für die Nea Demokratia in Betracht? Natürlich zuvorderst die Pasok-Schmarotzer. Aber wie sieht es eigentlich mit einer Koalition mit der neonazistischen „Goldenen Morgenröte“ aus, die seit Januar immer bei stabilen 6 – 7 % harrt und tendenziell Luft nach oben zu haben scheint? Es ist kein Unding, wenn Konservative mit Rechten paktieren; es ist gar Tradition in schwierigen Zeiten für Nationalstolz und Nation. Schließlich liegt zwischen einem Notstand und einer ungewöhnlichen Situation nur das Dekret des Regierungschefs und/oder Staatsoberhauptes. Beispiele gibt es zuhauf: gegenwärtig in der Ukraine Poroschenkos (Rechter Sektor, Swoboda etc.), in der Türkei zwischen AKP und MHP oder historisch Brüning – Hitler. Bei den Konservativen herrscht eine permanente Tendenz zur Rechten und die Rechten gelangen historisch immer durch ein Huckepack der Konservativen an die Macht. Insofern bleibt ein solches Bündnis auf Grundlage eines etwaigen Notstandes möglich und wahrscheinlich. Ein griechischer Artikel 48 WRV lässt sich mit politischem Willen problemlos konstruieren.

Außerdem brauchen konservativ wie rechts, beide reaktionär auf ihre Weise, sich nicht auf soziale Bewegung, Solidarität oder Bevölkerung zu stützen, d.h. auf denkende, sich bewegende, lernende Massen – sie wollen ja nicht die Häupter erheben, sondern auf die Köpfe treten und sie unterdrücken –, sie stützen sich auf gedankenlose und befehlshörige Institutionen und Elemente wie Militär, Justiz und Vaterland, auf den Übermenschen. Zudem – aus der Sicht der griechischen Bevölkerung – werden alle möglichen Regierungsparteien das Memorandum vollstrecken (die Syriza wird schwerlich das Memorandum abermals revidieren) und die einzige potenzielle Partei, die in „harten Zeiten und des Scheiterns der Linken“ noch Veränderung, zwar regressive, aber immerhin „Veränderung“ ausstrahlt, wird die Goldene Morgenröte sein. Ist es angesichts von Demoralisierung, linker Resignation und existentiellem Elend tatsächlich unwahrscheinlich in diesem Gedankengang seine Stimme am 20. September den Neonazis zu geben?


Bei den Konservativen herrscht eine permanente Tendenz zur Rechten und die Rechten gelangen historisch immer durch ein Huckepack der Konservativen an die Macht.


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Wahlergebnis im 25. Januar 2015 (Ausführlich: Klick auf das Bild)

Entscheidend werden die knapp 10 % sein, die im Januar Syriza zu 36 % verholfen hatten, weil sie sie als Hoffnung, als Leuchtfeuer von Veränderung, als fortschrittliche Auflehnung sahen, und sich nun von ihr und damit langfristig von linken Idealen abzuwenden scheinen. Wohin werden sie sich wenden? Auf korrupte Sicherheit, Nea Demokratia? Auf finstere Zeiten neonazistischer Marschtrupps, goldene Morgenröte? Was wird dann mit der Syriza?

Jedenfalls hat die griechische Bevölkerung dieser Tage viel, zu viel zu erdulden; in ein oder zwei Jahrzehnten wird sie nicht mehr dulden können. Wir werden sehen, was der 20. September bringen wird – Hoffnung, Demokratie, Veränderung, Sozialismus, ein rotes Fest wird es gewiss nicht sein.

Und die Syriza, die zeitweilig die tragische Rolle einer linken Reserve-Regierung, also eines jämmerlichen Bittstellers gespielt hatte, gleichwohl die Linke eine überragende Verantwortung vor der Geschichte hat, mahnen wir zur alten Einsicht:

Keinem Richter gebührt’s, die ganze Nacht zu durchschlummern,
dem zur Hut sich die Völker vertraut und so mancherlei obliegt.

Von Mesut Bayraktar

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